Komplexe Verschachtelungen: Norbert Gstrein liest im Literaturhaus aus „Das Handwerk des Tötens“
: Keine Toten zum Leben erwecken

So viel Skepsis, Vorsicht gegenüber der Sprache; so stark der Verdacht des Autors Norbert Gstrein gegen die Möglichkeiten, die Wirklichkeit erzählbar zu machen. Und doch hat er einen dichten und bilderstarken Roman geschrieben: Das Handwerk des Tötens, aus dem er jetzt im Literaturhaus liest. Der Stoff: der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Und die zentrale Frage lautet: Wie kommt man schreibend an die Realität des Krieges heran?

Ausgangspunkt ist der Tod des Kriegsreporters Christian Allmayer, der 1999 bei einem seiner Einsätze ermordet wird. Auf seine Fährte begibt sich der Reisejournalist Paul, der einen Roman über den Tod des früheren Freundes schreiben möchte und den namenlosen Ich-Erzähler in dieses Vorhaben hineinzieht. Der schließlich erinnert an die Begegnungen mit Paul in Hamburg, in denen dieser seine Gespräche mit Allmayer wiedererzählt. Die wiederum werden ergänzt durch Erinnerungen an Diskussionen, die andere mit Allmayer führten.

Diese Dreifachverschachtelung ist eine gewagte Konstruktion, und doch funktioniert sie: Sie spiegelt die Distanz, die in allen Versuchen der Annäherung an Allmayer bleiben muss. Wer war, wer wurde Allmayer durch den Krieg? Die detaillierte Wiedergabe der Gespräche wirkt fast irreal, bietet dem Ich-Erzähler Anlass zu zweifeln. So wird das Misstrauen gegenüber der hilflosen Worthülse angesichts des Ungeheuerlichen des Krieges ständig mitgeschrieben.

Doch paradoxerweise entstehen dadurch keine kühlen Bilder. Auch den eigenen Vorstellungen gegenüber skeptisch, die der Erzähler sich aufgrund des Gehörten oder Gelesenen macht, lässt er ihnen doch Raum. So können es eindringliche Bilder sein: von der angespannten Stille, die schließlich von den Motoren der Panzerkolonne durchbrochen wird. Immer wieder das Staunen über die Gleichgültigkeit der Landschaft. Mit Paul und seiner Freundin Helena aus Dalmatien fährt Allmayer schließlich zwecks Recherchen vor Ort nach Kroatien. Hier beäugt er unwillig, wie Paul Helena, in die er selbst sich verliebt hat, für seine Literarisierung benutzt.

Gstreins Buch ist auch deshalb keine bloße Romantheorie, weil der Autor seine Figuren und ihre Verstrickungen so eindrücklich zeichnet. Es genügen kurze Skizzen: die Körperhaltung der Witwe Allmayers, die viel über ihre Art der Trauer verrät. Die Einsamkeit und Sehnsucht des Ich-Erzählers, die in beiläufigen Sätzen zum Ausdruck kommt. Die Anziehung und Abstoßung zwischen ihm und Helena, ihm und Paul.

Die Besessenheit Pauls, sich dem fremden Tod schreibend zu nähern, ist ein Versuch, sich in der Geschichte eines anderen der eigenen Lebendigkeit zu vergewissern. Er wird daran zugrunde gehen. So wie Allmayer daran scheiterte, über das zu berichten, was ist – auch, weil die Gewalt ihn mit einschloss, er auch den inneren Sicherheitsabstand nicht wahren konnte. Die besondere Rolle, die dabei ein Interview spielt, sei hier nur angedeutet. Dass „es von vornherein zu spät ist und sich mit dem Geschriebenen kein Toter mehr zum Leben erwecken lässt“, dieser Erkenntnis stellt sich Gstrein dennoch schreibend. Er hat ein dichtes erzählerisches Netz entworfen, dessen Stränge sich vielfach kreuzen, ergänzen – und einander in Frage stellen.

CAROLA EBELING

Norbert Gstrein: Das Handwerk des Tötens, Frankfurt/M. 2003, 386 S., 22,90 Euro. – Lesung: Di, 9.9., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38