„Da wurde eher tiefgestapelt“

Der Stasi-Experte Hubertus Knabe hält es für ausgesprochen wahrscheinlich, dass Wallraff als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Stasi gearbeitet hat

taz: Herr Knabe, die Birthler-Behörde sagt, es gebe Neues im Fall Wallraff. Was denn?

Hubertus Knabe: Zum ersten Mal wurden Rosenholz-Unterlagen über einen ehemaligen Bundesbürger herausgegeben. Das ist ein großes Novum.

Aber was wissen wir jetzt über Günter Wallraff, das wir vor einem Monat noch nicht wussten?

Das gefundene Material erhärtet den Eindruck, dass Wallraff als IM gearbeitet hat. Es gibt einen Statistikbogen, auf dem die Stasi Ende 1988 festgehalten hat, auf wen sie sich im Kriegsfall stützen kann. Dort taucht der IM Wagner auf. Wagner, heißt es dort, wurde auf ideologischer Basis geworben und als vertrauenswürdig eingeschätzt.

In der Rosenholz-Datei stehen auch Leute, die davon nichts ahnten.

Auf den IM-Vorgang Wagner ist nur eine einzige Person registriert. Die heißt Günter Wallraff.

Aber es gibt keine Verpflichtungserklärung von Wallraff.

Die kann es auch nicht geben. Denn die Akten aus dem Vorgang Wagner sind 1989/90 vernichtet worden. Eine Verpflichtung war auch nicht erforderlich, nur die Bereitschaft zur konspirativen Zusammenarbeit. Diese geht aus einem ausführlichen Auskunftsbericht der Stasi hervor.

Was steht da drin?

Die Stasi beschreibt dort, wie sie Wallraff 1968 in einer „operativ günstigen Situation“ direkt angesprochen und für die Zusammenarbeit angeworben habe.

Sie haben gesagt, die Werbung Wallraffs erfolgte auf ideologischer Basis. Vielleicht war Wallraff einfach nur naiv?

Die Stasi registrierte nicht irgendwelche Westdeutsche als IM. Da gab es ein strenges Regularium. Leute, die unwissentlich abgeschöpft wurden, hießen Kontaktpersonen.

Vielleicht stellt der genannte Auskunftsbericht die Wirklichkeit verzerrt dar?

Wenn, dann zu Gunsten Wallraffs. Der Bericht entstand ja, nachdem er 1976 Wolf Biermann bei sich aufgenommen hatte. Die HVA musste erklären, warum einer ihrer IMs dem Staatsfeind Nummer eins Asyl gewährte. Da liegt es nahe, dass eher tiefgestapelt wurde als übertrieben.

Wieso war Wagner noch in den Rosenholz-Dateien von 1988, obwohl er doch seit der Ausbürgerung Biermanns 1976 mit der DDR gebrochen hatte?

Es ist nahezu ausgeschlossen, dass ein abgelegter IM-Vorgang von 1976 bis 1988 quasi als Karteileiche mitgeschleppt wurde. Noch 1987 genoss Wallraff bei Reisen in die DDR „bevorzugte Grenzabfertigung“ – ohne Kontrolle und Zwangsumtausch.

INTERVIEW: MATTHIAS BRAUN