Füchse im Scheinwerferlicht

Eimsbush, Baby: Mit elastischem Slang haben die Beginner ihren Stadtteil auf die deutsche HipHop-Landkarte gesetzt. Auf ihrem neuen Album bieten sie nun wieder Unterhaltung auf höchstem Niveau

von UH-YOUNG KIM

Wanderer, kommst du nach Eimsbüttel, suche dort nicht nach Spuren der HipHop-Szene. Statt junger Talente, die sich auf der Straße mit Reimen duellieren, findest du bloß kilometerweit leer gefegte Straßenzüge. Nachts heult der Wind durch die menschenleere Einkaufsstraße im Zentrum, nur hier und da bricht sich das nervöse Licht eines Fernsehers auf dem vernieselten Asphalt. Eimsbüttel ist das langweiligste Kaff auf Erden.

Jan Eißfeldt aka Eizi Eiz gibt das auch ohne Umschweife zu: „Da geht gar nichts.“ Das sagenumwobene Eimsbush, von dem die Beginner immer wieder in ihren Stücken rappen, verhält sich zum real existierenden Stadtteil Eimsbüttel so wie Disneyworld zu Neuschwanstein: Es ist eine Fantasiewelt. Das Territorium, das sie in Reimen und Beats, auf T-Shirts und ihrem Label glorifizieren, ist erst um das Hamburger Rap-Trio entstanden. Sie haben die großstädtische Tristesse mit coolen Bedeutungen gefüllt – und Eimsbush damit jene strahlende Identität gegeben, die als Epizentrum von deutschsprachigem Rap bundesweite Berühmtheit erlangte.

Eimsbüttel, ein traditionelles Arbeiterviertel, bildet das Bindeglied zwischen dem linksautonomen Schanzenviertel und dem Mittelstandsquartier Eppendorf. Aus dessen wohl behüteten Verhältnissen stammen die drei Beginner ursprünglich. Die Schanze aber ist das ideologische Biotop, auf dem sie gewachsen sind. So bauten die Beginner eine Brücke zwischen den politischen Positionen der Punk-Semester und dem Style-Hedonismus der HipHop-Kids.

Bündnis im Biotop

Jan Delay führt den Erfolg der Beginner auch auf die Offenheit der unterschiedlichen Musikszenen Hamburgs zurück, deren Wege sich ständig kreuzen: „Hier können Leute ein Konzert machen, die überhaupt kein Standing haben. Trotzdem kommen da so viele hin, dass sich das für alle lohnt. Ansonsten gilt in Deutschland ja, Berlin einmal ausgenommen: Wenn jemand andere Ideen hat, finden die Leute in seinem Umfeld das meist scheiße – statt es derbe zu finden, dass er was anderes macht.“

Das beste Beispiel für diese gegenseitige Unterstützung ist das Bündnis der Beginner mit dem Punk-Label Buback. Anfang der Neunzigerjahre wurden die B-Boys von Labelgründer Ale Sexfiend adoptiert. Die graue Eminenz der Hamburger Indie-Szene nahm sie unter Vertrag, und so gingen die Beginner erst mal mit den Goldenen Zitronen auf Tour. Mit dem Erfolg der Beginner avancierte Buback zu einer der ersten Adressen für Rap aus Deutschland. Und auch nach zehn Jahren ist das Buback-Logo noch auf der Rückseite von Beginner-Platten zu finden – so auch auf ihrem neuen Album „Blast Action Heroes“.

Wieder einmal war Hamburg die Metropole, in der die Übersetzung von angloamerikanischen Subkulturen in den deutschen Kontext auf besondere Weise funktionierte. Jan verweist auf die Verbindung zu London, von wo die neuesten Vinyl-Importe direkt auf die heimischen Plattenspieler kamen. Zum anderen liegt in der Verbindung zu England ein Verständnis von Popkultur begründet, das nicht um Authentizität bemüht ist, sondern auf Selbstironie aufbaut. Aus dem Manko an Originalität entstand ein Selbstbewusstsein, das über die Negation der Vorbilder eine eigene Position überhaupt erst möglich machte: So proklamierte schon ein Punk-Sampler von L’Age D’Or, der am Anfang der Hamburger Schule stand: „Dies ist Hamburg (nicht Boston)“, 1989.

Auch der deutsche Entwurf von Grunge kam um das Möchtegernsein herum, indem Tocotronic sich sagten: „Dies ist nicht Seattle, Dirk“, 1995. Und so stellten auch die Beginner auf ihrer Debüt-EP „Gotting“ klar: „Dies ist nicht Amerika“, 1993. Sie sparten sich die importierte Gangstermiene und paraphrasierten fortan „Eimsbush, Baby“, so wie Puff Daddy sein „Uptown“ preist.

Eimsbush für alle

Wenn Denyo auf der aktuellen Single „Fäule“ nun behauptet: „Wir machen Hamburg so groß wie Paris, New York und London“, spricht daraus die Selbstüberhöhung des Rap: Big up yourself, mach dich größer (als du bist). Wohl in keiner urbanen Kultur ist dabei die Identifikation mit einem lokalen Zusammenhang so ausgeprägt wie im HipHop. War das Ghetto das Setting, vor dem sich US-amerikanische Rap-Narrative abspielten, fehlte in Deutschland ein vergleichbarer Ort für glaubhafte Geschichten.

Zwar bediente sich etwa das Rödelheim Hartreim Projekt aus Frankfurt schon früh bei Gangster-Rap-Szenarien aus Los Angeles, aber die Frankfurter kamen damit nie so richtig über die abenteuerhungrige Klientel aus den Vorstädten hinaus. Im fiktiven Eimsbush dagegen fühlten sich zum ersten Mal alle wohl – vom Antifa-Aktivisten bis zum MTV-Konsumenten. Ja sogar Deathmetal-Fans, Hardcore-B-Boys und blasse Indiekids fühlten sich hier zu Hause. Eimsbush stand für Style, Freiheit und ein kritisches Bewusstsein. Hier sollte es Gestalten geben, die wirklich das machten, was sie wollten. Ohne Kompromisse und mit viel Witz, dissen sie im gleichen Atemzug George Bush, wie sie sich für Steve-Martin-Filme begeisterten.

Die Fantastischen Vier waren zwar jene Rapper, die den Markt für deutschsprachigen HipHop kommerziell öffneten. Auf der anderen Seite stürmten damals Advanced Chemistry die Jugendzentren, verfehlten aber den Sprung ins Radio. Zwischen Charts und Underground positionierten sich die – damals noch – Absoluten Beginner. Bis sie 1998 zum großen Wurf ansetzen konnten, durchlebten auch sie die Grabenkämpfe um die wahre Schule des deutschen HipHop.

Das lässt sich schön an ihrer Diskografie ablesen: In ihren Teenietagen skandierten sie noch Punk-Parolen „K.E.I.N.E. (Bullenschweine)“, 1992, und kämpften, ganz dem Underground-Ethos verpflichtet, gegen die Windmühlen der Kommerzialisierung: „Diese Schlacht“, 1993. Etwas später wendeten sie sich jedoch vom Dogmatismus der Szene ab („Das Alte Lied“, 1994), um mit ihrem regulären Album-Debüt („Flashnizm“, 1996), unterstützt von einer „echten“ Band, zu einer eigenen Position zu finden.

Ihr zweites Album „Bambule“ markierte den Durchbruch der Beginner, und mit ihnen die Ankunft des deutschsprachigen HipHops in den deutschen Mainstream-Charts: Ganz ohne Klamauk, aber auch ohne Kulturauftrag und ohne Verpflichtung zum Kampf gegen irgendwas. Sich als Füchse stilisierend, luden die Beginner in das Innere ihres Baus ein, wo sich Style und Flash „Alles down“ sagten.

Na, alles klar, Digger?

Unerlässlich für das entstehende Rap-Utopia war dabei eine eigene Sprache. Deren Codes wurden nicht eins zu eins aus dem Amerikanischen adaptiert, sie leiteten sich aus dem lokalen Umfeld ab. Nicht weil sich „Digger“ so gut auf „Nigger“ reimte, wurde es zu ihrer offiziellen Anrede, sondern weil der eigene Vater die Mutter schon seit jeher „Digges“ nannte. Die Härte stimmloser Konsonanten wich der Lässigkeit stimmhafter Laute. Mit dem Idiom „derbe“ sickerte der elastische Eimsbush-Slang bundesweit in eine Jugendsprache, die bis dahin meist nur Anglizismen wiederkäute.

Auch wenn das „Liebeslied“ als erster Meta-Hit in die deutschen Charts eingehen sollte, war das dazugehörige Album „Bambule“ weit weniger auf Massengeschmack getrimmt denn vielmehr als komplett durchhörbares Rap-Album angelegt. Doch mit dem Erfolg des Albums verbreitete sich Rap in Deutschland auf einen Schlag auf allen Kanälen. Ob Benztown, Köllefornia oder Dickes B: Von nun an proklamierte jede deutsche Stadt ihr eigenes Eimsbush.

Auf dem neuen Album „Blast Action Heroes“ ist nun vieles anders. Die Zeiten haben sich ja auch geändert: Das Geheimnis um HipHop ist gelüftet, die kommerzielle Seifenblase um die Subkultur geplatzt. Nicht zuletzt durch die Beginner ist Rap die Musik des Mainstreams geworden. In der Veröffentlichungsflut von „Deutschrap“ ging das Solo-Projekt von Denyo, „Minidisco“, 2000, unter, das Reggae-Album von Jan Delay „Searching …“, 2000 dagegen steigerte die Erwartungen an ein neues Beginner-Album. Derweil übertrug DJ Mad die Kunst des Plattenmixens und Soundcuttens auf Filmblenden und Musikvideoschnitt.

Auf Amrum fanden die drei Amigos endlich wieder zusammen. Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis das Album über jede Kritik – insbesondere der eigenen – erhaben war. Der verkiffte, auf Funk-Loops basierende Charme, der noch auf „Bambule“ regierte, ist einem reduzierten, digitalen Perfektionismus gewichen. Das kann in der Live-Show manchmal konstruiert wirken. In der Chemie aus Beats, Reimen, Scratches und Video aber passt hier ein Molekül zum anderen.

Schon der Titel „Blast Action Heroes“ verspricht großes Box-Office-Kino. Das Cover-Design lässt allerdings weniger auf Hollywoodware denn auf das Kultpotenzial von Blaxploitationfilmen schließen. Die Collage zollt den Klassikern des US-Rap Tribut: Stetsasonic, N.W.A. und Public Enemy.

An diese Traditionslinie knüpfen die Beginner an. Ihre Botschaft beschränkt sich aber nicht mehr nur auf einen kleinen konspirativen Kreis von Eingeweihten. Die Actionhelden bieten heute Unterhaltung für alle an, und das auf höchstem Niveau.

Das Album beginnt mit einer Kamerafahrt durch die letzten vier Jahre der Beginner („Back In Town“) und endet mit einer apokalyptischen Geschichte vom Tag nach dem Kollaps der Musikindustrie („Kake is at the dampf“). Dazwischen findet man alles, was man von einem guten Rap-Album erwartet: atemberaubende Style-Stunts („Stift her“), souveräne Ego-Exzesse („Wer bist’n du?“), Momente der Selbsterkenntnis („Schiss“) und eine schweißtreibende Liebesszene („God is a music“). Dabei bleibt die Entertainment-Show, die die Beginner in vierzehn lückenlosen Akten aufführen, vom politischen Hintergrund ihrer Hamburger Herkunft durchdrungen. So nutzen sie eine kurvenreiche Verfolgungsjagd als Rahmen, um die Schattenseiten der Republik auszuleuchten („Scheinwerfer“).

Derber Wandel am Hafen

Das eigentliche Herzstück des Albums aber ist eine melancholisch-erhabene Ode an ihre Heimat am Hafen. „City Blues“ erzählt von Hamburg als einer Stadt, die ständig von schlechtem Wetter heimgesucht wird und nach Meinung von Jan Delay gerade deshalb von so guter Musik gesegnet ist: „In Hamburg wird mehr nachgedacht, weil die Leute mehr Zeit dazu haben. Hier regnet’s immer – also bist du drinnen und machst Mucke.“ Hamburg ist die Oase, in der die Beginner ihren Soundtrack für ein derbes Leben komponieren, und die Wüste der Wirklichkeit, über deren Missstände sie nicht hinwegsehen können.

So auch nicht über die Veränderungen im Schanzenviertel. Hier zeichnet sich deutlich der Wandel vom Zentrum linksalternativen Widerstands zur entpolitisierten Konsummeile ab. Auf der einen Seite des Schulterblatts flaniert die verhasste „Generation Milchkaffee“ auf der Piazza; gegenüber wurde der Drogeneinrichtung des Viertels, dem Fixstern, zum Jahresende der Mietvertrag gekündigt: Auch das ist ein „Vermächtnis Schills“, bemerkt DJ Mad.

„Die arbeiten derbe Hand in Hand mit der rechtskonservativen Abteilung, indem sie das schleichend verändern, was in den Achtzigern gegen Wasserwerfer erkämpft wurde.“ Und Jan Delay fügt hinzu: „Der Milchkaffee suppt aus der ganzen Generation. Die denken, die sind am Start, weil sie Geld für eine Sache ausgeben. Aber dadurch, dass sie keine Inhalte mehr haben, nehmen sie den ganzen Widerstand und die kritische Grundhaltung heraus, die da mal waren.“

Ihr neues Stück „Schily-Schill Bäng Bäng“, eine Abrechnung mit den beispielhaft genannten Hardlinern, ist als Prophezeiung zumindest zur Hälfte bereits in Erfüllung gegangen: Schill hat sich selbst erledigt. In Hamburg regiert nun ein „Schwein“ weniger. Und in Eimsbüttel hat neulich ein Shop namens „Eimsbush Getränke“ eröffnet.