Grüne Gentechnik in roten Zahlen

Die MinisterInnen Künast, Clement und Bulmahn streiten um gentechnisch veränderte Lebensmittel. Doch der Nutzen für Industrie und Beschäftigung ist nicht seriös zu beziffern

„Ein eher wenigerwichtiges Geschäftsfeld deutscher Biotechnologie-unternehmen“In den USA ist die Öko-Landwirtschaft von fast flächendeckender Kontaminationbetroffen

Der Streit um die Grüne Gentechnik zwischen SPD und Grünen entbrennt wieder in voller Schärfe. Anlass ist diesmal die Novelle des Gentechnikgesetzes, das die rechtlichen Bedingungen für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland festlegt. Verbraucherministerin Künast hat einen Entwurf vorgelegt, der gerade mit den anderen Ministerien, allen voran denen für Wirtschaft und für Forschung, abgestimmt werden muss.

Die Konfliktlinien zwischen den Regierungsparteien: Für die SPD ist Gentechnik eine Zukunftstechnologie, die Arbeitsplätze schafft und einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland leistet. Bereits jetzt fließen jährlich 250 Millionen aus dem Etat des Bildungs- und Forschungsministeriums in Biotechnologieprojekte. Die Grünen hingegen wollen die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen bewahren und die gentechnikfreie Landwirtschaft sichern. Die Novelle des Gentechnikgesetzes soll deshalb „unter Verbrauchergesichtspunkten erfolgen“, wie es auch im Koalitionsvertrag heißt.

Wie tief die Gräben zwischen beiden Parteien in Sachen Grüne Gentechnik sind, spiegeln die über die Presse ausgetragenen Scharmützel wider. Nachdem die im Künast-Ministerium formulierte Gesetzesvorlage dem Wirtschaftsressort zugegangen war, warf Clement seiner Ministerkollegin vor, sie wolle mit ihren Maßnahmen zur Sicherung einer gentechnikfreien Produktion „eine ganze Zukunftstechnologie totmachen“. Ende August appellierte deswegen auch die Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie an den Basta-Schröder: Damit der „grüne GenTech-Zug“ nicht ohne Deutschland abfahre, müsse der Bundeskanzler die grüne Ministerin in ihre Schranken weisen.

Doch Künast tritt für das ein, was bisher eine Selbstverständlichkeit war und jetzt akut bedroht ist: das Recht von 80 Millionen VerbraucherInnen und 400.000 LandwirtInnen, ohne Gentechnik essen und produzieren zu können. Auf der anderen Seite stehen SPD-MinisterInnen wie Wolfgang Clement und die für Forschung zuständige Edelgard Bulmahn, denen es vor allem darum geht, Auflagen für diejenigen zu vermeiden, die mit dem Verkauf oder Anbau transgenen Saatguts Geld verdienen wollen. Warum eigentlich?

Das Geschäft mit transgenem Saatgut ist nur auf den ersten Blick eine Erfolgsgeschichte. Bei einer Fläche von weltweit derzeit 60 Millionen Hektar mit gentechnisch veränderten Soja-, Baumwoll-, Mais- und Rapssorten konzentriert sich der Anbau lediglich auf vier Länder. Etwa zwei Drittel der weltweiten Anbauflächen befinden sich in den USA, ein Viertel in Argentinien, sieben Prozent in Kanada und zwei Prozent in China. Auf dem Markt für transgenes Saatgut – inklusive dem für an die Pflanzen angepasste Pestizide – wurden im Jahr 2002 drei Milliarden US-Dollar Umsatz erzielt, das sind sieben Prozent des gesamten Weltmarktumsatzes für Saatgut und Pflanzenschutzmittel. Keines der weltweit sechs führenden Gentech-Unternehmen schreibt schwarze Zahlen. Monsanto, der US-amerikanische Branchenriese mit achtzig Prozent Marktanteil, kämpft seit Jahren gegen den Bankrott.

Wie steht es mit dem sozialdemokratischen Mantra, Gentechnik schaffe Arbeitsplätze? Eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young aus dem Jahr 2002 beziffert die in der deutschen Bio-Tech-Branche Beschäftigten auf 14.400 Mitarbeiter, die in 365 zumeist kleinen Firmen jährlich rund eine Milliarde Euro umsetzen. Ähnliche Zahlen nennt der zwei Jahre vorher unter Federführung des Forschungsministeriums erstellte „Bericht des Fachdialogs Beschäftigungspotenziale im Bereich Bio- und Gentechnologie“. Zur Grünen Gentechnik heißt es dort, dass sie zu den „eher weniger wichtigen Geschäftsfeldern deutscher Biotechnologieunternehmen“ zählt. Die Schlussfolgerung: „Größere Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden sich hier aber erst zeigen, sobald dieses Feld in großem Umfang von der Forschung in die Produktion ausstrahlt.“ Bislang ist von der viel beschworenen Jobmaschine Grüne Gentechnik jedenfalls nichts zu spüren.

Leider macht die Fixierung auf das unterstellte Arbeitsplatzpotenzial der Grünen Gentechnik Wirtschaftsminister und Forschungsministerin blind für das Hier und Jetzt:

Blind zum einen für die Arbeitsplätze, die in Deutschland und der EU durch den Verzicht auf den Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gesichert werden oder neu entstehen können. Weil es bisher so gut wie keinen kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU gibt, verfügt die hiesige Landwirtschaft zurzeit noch über einen grandiosen Wettbewerbsvorteil: Sie kann die Nachfrage nach garantiert gentechnikfreien Produkten befriedigen – und das nicht allein für den EU-Binnenmarkt von jetzt 380 Millionen VerbraucherInnen, die in ihrer großen Mehrheit Gen-Food ablehnen, sondern auch für den asiatischen und den US-Markt.

Blind zum anderen für die Arbeitsplätze, die auf dem Spiel stehen, wenn in der deutschen Landwirtschaft US-amerikanische oder kanadische Verhältnisse Einzug halten. In beiden Ländern gibt es keinerlei Regelungen zum Schutz der gentechnikfreien Produktion. Die Folge: Seit 1996, als erstmals transgenes Saatgut großflächig ausgebracht wurde, hat eine nahezu flächendeckende gentechnische Kontamination von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft stattgefunden. Viele Öko-Betriebe verloren daraufhin ihre Zertifizierung und mussten aufgeben. Und den US-Farmern gingen Absatzmärkte verloren. Das ist auch der Grund, weshalb die USA die EU bei der Welthandelsorganisation verklagt haben.

In den letzten Wochen hat die SPD erkennen lassen, dass ihr selbst rudimentäre Regeln für die Nutzer der Grünen Gentechnik zu weit gehen. Sie sagt nein dazu, dass die Verursacher für wirtschaftliche Schäden haften, die Landwirten oder Lebensmittelherstellern durch gentechnische Kontamination ihrer Produkte entstehen. Sie will keine öffentlich zugänglichen Standortregister, in denen verzeichnet ist, wo transgenes Saatgut ausgebracht wird. Und sie lehnt eine Rechtsverordnung ab, die festlegt, welche Pflichten diejenigen Bauern haben, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen wollen.

Bei der Novelle des Gentechnikgesetzes muss die SPD die Katze aus dem Sack lassen: Setzt sie sich ein für die Partikularinteressen einer Industrie, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen ein Angebot geschaffen hat, für das es bei Europas VerbraucherInnen keine Nachfrage gibt. Oder macht sie sich gemeinsam mit den Grünen stark für ein hohes demokratisches Gut: die Wahlfreiheit. Wahlfreiheit beim Essen wird es nur dann weiterhin geben, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland so ausgestaltet werden, dass der Schutz der gentechnikfreien Produktion oberste Priorität hat.

HEIKE MOLDENHAUER