Im Popstarhimmel

Nach dreieinhalb Jahren harter Arbeit löst sich nun die Girlgroup No Angels wegen kollektiver Erschöpfung auf

Sie dürften gearbeitet haben wie die Bekloppten. Denn es waren ja nicht nur drei Platten, die eingespielt werden mussten, fast ein Dutzend Singles, die mit Videoclips, Promoauftritten und Autogrammstunden ausgestattet werden mussten. Das ganze Drumherum, die Tränenausbrüche, die Familienprobleme, die ständige Übermüdung, die Zickereien – all das war ja Teil des Jobs. Es ist nur zwangsläufig, dass die No Angels nun Erschöpfung als Grund für ihre Trennung angeben. Und nicht kreative Differenzen oder Ambitionen auf weiterführende Solokarrieren, wie die Sprachregelungen üblicherweise heißen, wenn eine Band die Vorgaben durch die Plattenfirma nicht mehr erträgt und davon träumt, fortan selbstbestimmt ihren Beitrag zum Weltkulturerbe zu leisten. Die No Angels können einfach nicht mehr.

Wie bei allen großen Ideen war auch das Konzept hinter den No Angels denkbar einfach: Ein deutscher Spice-Girls-Nachbau sollten sie sein, bloß unter den Bedingungen von „Big Brother“. Erstere hatten bewiesen, dass ein gewisses Maß an mädchenhafter Frechheit und Spontaneität nicht nur im popmusikalischen Minderheitenprogramm erfolgreich sein kann. Letzteres hatte ein neues Starmodell eingeführt: den ganz normalen Menschen, den man aus dem so banalen wie überzeugenden Grund lieben oder hassen muss, weil man ihm in seiner medialen Überpräsenz gar nicht entgehen kann. No Angels also: keine Engel, sondern hard working girls next door, die der Tortur der Castingshow „Popstars“ als ebensolche entstiegen.

Das war neu, aufregend und ein zwiespältiges Vergnügen. Neu, weil das dreckige Geheimnis der Starproduktion, all das, von dem die Öffentlichkeit etwa bei einer Gruppe wie den Supremes in den Sechzigern noch sorgfältig abgeschirmt worden war, auf einmal im Zentrum stand: die harte Arbeit nämlich, die es bedeutet, ein Star zu werden, zu sein und zu bleiben. Aufregend, weil es funktionierte. Fünf Millionen Platten haben die No Angels verkauft. Zwiespältig, weil das zwar alles unglaublich transparent zu sein schien, die geneigte Öffentlichkeit über das Wichtigste aber nichts erfuhr: darüber nämlich, wie die Verträge aussehen, die man unterzeichnen muss, um zu diesem vollständig flexiblisierten Star-Individuum zu werden. Die Arbeit wurde zwar mit Unmengen von Glamour aufgeladen, nach Urlaubsansprüchen, Krankengeld oder der Rente fragte aber niemand.

Wie der Mythos es will, begann die Geschichte der Spice Girls mit einem Akt der Selbstermächtigung. Im medialen Dunkel der Villa, in der sich die fünf auf ihre Karriere vorbereiteten, feuerten sie ihren Manager und nahmen die Selbsterfindung in ihre eigenen Hände. Bei den No Angels verhält es sich genau andersherum: die Selbstbestimmung dürfte mit der Entscheidung begonnen haben, aufzuhören. TOBIAS RAPP