„Die Skeptiker sind verliebt in die CIA“

Nach den Verschwörungstheoretikern formieren sich nun die Gegner des Wahns. Experten wie Hans Leyendecker halten Geheimdienste weniger für teuflisch als für unfähig. Und sie fragen, warum so viele Menschen so viel „Bullshit“ glauben

aus Berlin MAREKE ADEN

Es wäre Aufgabe von Gunther Latsch gewesen, die Podiumsdiskussion „Terror oder Verschwörung“ zu moderieren. Das kann der Mann vom Spiegel nicht, obwohl er an der aktuellen Titelgeschichte zum 11. September mitschrieb. Der Grund: Die anderen drei Experten auf dem Podium sind einer und seiner Meinung: Für „Bullshit“ hält Hans Leyendecker, Geheimdienstexperte der Süddeutschen Zeitung, Verschwörungstheorien. Oliver Schröm und John Goetz, die für das Fernsehen arbeiten und Bücher schreiben, sehen das auch so, sagen es aber vornehmer.

Das Gespräch am Vorabend des 11. September in Berlin ist eine Gegenveranstaltung zu den vielen in letzter Zeit, die die Anschläge von 2001 zu Welt- oder sonstigen Verschwörungen erklärten. Die Journalisten haben ihre Gegner also nicht auf dem Podium, sondern überall dort, wo als vernünftig gilt, was verschwörerisch klingt.

Sie sei doch sehr erschrocken gewesen, sagt eine alte Dame im Publikum, als sie im Fernsehen gehört habe, die „Zeh-Ih-Ah“ könnte hinter dem 11. September stecken. Mit ihrem Schreck steht sie ziemlich alleine da, viele andere im Publikum trauen der CIA ohnehin alles zu.

Oliver Schröm hat gegen die vielen Verwirrungen ein Buch geschrieben: „Tödliche Fehler“. Darin beschreibt er, wie dicht die CIA, das FBI, der deutsche Verfassungschutz und andere den Attentätern vom 11. September auf den Fersen waren. Und wie wenig sie kooperierten. Auch er greift die Geheimdienste an. Aber er hält sie nicht für böse, sondern für unfähig.

Der CIA fühlte sich vom FBI gemobbt, der dort Verräter vermutete, und gab Erkenntnisse über al-Qaida nicht weiter. „Es waren ganz normale, menschliche Eifersüchteleien und Pannen“, sagt Schröm. John Goetz erzählt, dass der amerikanische Geheimdienst NSA noch mit Karteikärchen und Bleistift arbeite. „Die Realität ist haarsträubender als die Verschwörungstheorien.“ Und sie ist belegbar.

Andreas von Bülows Buch? „Was ist nur mit dem deutschen Adel los“, spottet Latsch. Über Autoren wie Gerhard Wisnewski und Ex-tazler Matthias Bröckers urteilt das Podium: „Solche Leute diskreditieren unsere Arbeit.“

Von Bülow hätte seine Thesen durchaus überprüfen können. „Ein Anruf hätte gereicht“, sagt Goetz. Als Beweis dafür, dass Todespiloten noch lebten, habe Bülow zehnmal denselben Artikel im Daily Telegraph zitiert. „Der Reporter hat nie mit einem der ‚Überlebenden‘ gesprochen“, erzählt Goetz.

Was aber ist an den Theorien dran, dass so viele Leute die Bücher kaufen, die Sendungen sehen, die Chatrooms des Internet füllen? Vier Antworten. „Man muss schon ein bisschen verliebt sein in die CIA, um ihre Allmacht vorauszusetzen“, sagt Hans Leyendecker. Wer Geheimdienste kennt, ist eher ernüchert. Die Stasi habe mal vor einem Fußballspiel eines Ostvereins gegen Werder Bremen hunderte Gespräche abgehört, sogar die des Platzwarts. Das Spiel ging 5:0 für Werder aus. „Geheimdienste sind sehr viel kleiner und sehr viel banaler, als man denkt.“ Doch weil die Öffentlichkeit über sie wenig wisse, mache sie sie größer. Der zweite Faktor: Verschwörungen haben Unterhaltungswert. „Was ihr da herausgefunden habt, ist ja interessant, aber diese andere Seite, die Verschwörungung, ist geiler“, hätten jüngere Leute über seine Recherche gesagt, erzählt Schröm.

Drittens: Das Internet ist das ideale Medium für Spinner. Früher sei man von den Leuten mit den abstrusen Theorien selbst am Stammtisch irgendwann genervt gewesen und hätte sie nach Hause geschickt, meint Latsch. Heute sitzen dieselben Menschen am Computer. „Im Internet entsteht eine Außenseiterstruktur, die die Nerds dieser Welt vernetzt und zu einer Armee macht.“ Die vierte Erklärung liefert Goetz: „Wir glauben nicht mehr an den lieben Gott.“ Da seien Verschwörungstheorien eine leichte, saubere Erklärung, „wie eine warme Decke“.

Eine „warme Decke“, eine einfache und saubere Erklärung, hat Oliver Schröm nach seiner einjährigen Recherche über die Versäumnisse des Geheimdienste nicht vorzuweisen. Aber er ist gelassen. „Selbst so gut organisierte Anschläge wie die vom 11. September sind offensichtlich verhinderbar, selbst ohne Gesetzesverschärfungen“, sagt er, „das ist doch beruhigend.“