Nicht ohne meinen Dildo

Wie man die Produktion sexueller Images selbst übernimmt: Auf ihrem zweiten Album treibt die Berliner Sängerin Peaches ihre Strategie des kalkulierten Knalleffekts auf die Spitze. Sie inszeniert sich als Femme fatale und gitarrenbewaffnetes Flintenweib. Neu ist das zwar alles nicht, aber es funktioniert

Peaches hat die Sexshow aus der Schmuddelecke geholt und in Pop überführt Das Nischendasein ist vorbei. Madonna und Marilyn Manson gelten als Fans

von SUSANNE MESSMER

Wenn ihre Bühnenshow beginnt, dann ist das wie ein gezielter Schlag ins Gesicht. Oder besser: in den Unterleib. Sie springt auf die Bühne, stellt sich breitbeinig in Positur, fixiert eine Weile das Publikum, dann schüttelt sie ein wenig die Pudelfrisur, ihre Mischung aus Afro und Vokuhila. Schüttelt ein wenig die Brüste. Schüttelt ein paar Mal den umgeschnallten Gummidildo. Sie singt nölend, aber nachdrücklich: „I’m the kind of bitch that you wanna get with“, die ersten Zeilen aus ihrem neuen Album „Fatherfucker“ (XL-Recordings/Zomba).

Alles unter Kontrolle, die ersten Fans kreischen schon. Sie spreizt die Beine, macht ein paar Machogesten. Ihr Höschen ist pink, es glänzt, es ist eng. Und es gibt den Blick frei auf ihre Schamhaare, ihren unrasierten Schritt. Peaches ist erst seit drei Minuten auf der Bühne und schon gibt es kaum mehr Leute im Publikum, die sich noch halten können. Vorn bildet sich ein Moshpit, Peaches lässt sich auf die Menge fallen und nach hinten weiterreichen. Als sie zurück ist, kugelt sie ein bisschen auf dem Boden herum und steckt sich das Mikro ins Höschen. Zuschauer stürmen die Bühne, ziehen sich aus und simulieren Geschlechtsverkehr. Nur ganz hinten steht noch ein Grüppchen, das sich nicht mitreißen lässt und gelangweilt am Bier nuckelt. Es sind nicht nur verschreckte Jungs. Was die wohl denken? Vielleicht: „Ist das billig.“ Oder: „Was für eine Effekthascherei.“ Und: „Müssen Frauen immer mit Sex hausieren gehen, damit sie erfolgreich sind?“

Frauen wie Peaches kennen kein Zögern. Eines Tages, erzählt sie, die sich im Interview als erstaunlich höfliche und eloquente Gesprächspartnerin entpuppt, hat sie sich Folgendes gedacht: Wer Musik macht, der wird auch zur Projektionsfläche sexueller Phantasien. Fotografen wollen den Mund noch ein Stück weiter offen, Videoproduzenten wollen den Ausschnitt noch einen Tick tiefer. „Da übernehme ich die Produktion sexueller Images doch lieber selbst“, sagt sie, die wenig den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Von diesem Tag an wurde Peaches zur phallischen Frau. Sie, nach der man sich auf der Straße kaum umdrehen würde, wurde die Sexgöttin, die Femme fatale, die Männerfantasie, sie wurde aber auch das Flintenweib, das den Fetisch, den Dildo, die Gitarre selbst in die Hand nimmt.

Gleichzeitig zieht Peaches den Cock Rock aber auch durch den Dreck. Schon allein das Cover ihres neuen Albums. Die Schrift erinnert an das Logo der Hardrock-Band Def Leppard. Dann das Foto von ihr: Einen Bart trägt sie da – als ob Vollmond wäre und sie ein Werwolf. Überhaupt, das Thema Haare: Nicht nur, dass sie im Internet eine Crotch-Galery angelegt hat mit tausend Fotos von ihrem Schritt, es gibt ein Video von ihr, in dem sie sich die Schamhaare auf Meterlänge wachsen lässt. Und natürlich dieser Dildo, diese deftigen Posen auf der Bühne: All das könnte ironischer nicht sein. Einerseits. Andererseits aber: Beschränkt sich das alles nicht auch ein bisschen zu sehr auf Imitation, auf ein Patchwork altbekannter Zitate, die auch zusammengefügt wenig Neues ergeben, außer dass sie eben von einer Frau zusammengeklebt sind?

Selbstermächtigung, Parodie und der Verdacht, dass es sich bei alldem um reines Imitat handelt, spiegelt sich auch in der Musik von Peaches. Musik, die gar nicht so besonders wichtig zu sein scheint beim Phänomen, beim Gesamtkunstwerk Peaches – schließlich hat sie selbst einmal gesagt, dass sie den Mythos der kreativen Musiker aushebeln will mit ihren provisorischen Sounds, die sie selbst an ihrer Groovebox schreibt und produziert.

Nennen wir es mal so: Die Songs von Peaches sind ziemlich einfach gestrickt. Zum Beispiel: Ein Klatschrhythmus, den man zuletzt bei Billy Idol bewundert hat, dann eine minimalistische Erinnerung an ein Xylofon, dann ein Gitarrenriff, alles nacheinander geschaltet, abgespeckt und schnörkellos. Es sind die stumpfesten Momente von Electro, Punk und Rock, die Peaches schon auf ihrer ersten Platte aufgerufen und damit einen Trend mit angestoßen hat, den man später unter dem Namen Electroclash verkaufte.

Reduktion aufs Allerwenigste ist es auch, das ihre neue, ihre zweite Platte bestimmt, die sich kaum von der ersten unterscheidet. Mit dem Sprechgesang einer Telefonsexarbeiterin trägt sie mal lasziv, mal ungeduldig vor, wonach ihr gerade der Sinn steht: „Knocking you out like Rocky Balboa“, singt sie oder fordert je nach Gemengenlange Sex zu dritt, Sex zu zweit, Sex allein. Sie selbst meint, in ihrer Musik treffen sich Salt ’n’ Pepa und die Stooges, man könnte auch sagen DAF treffen Sucide treffen AC/DC und lassen wenig voneinander übrig. A propos Stooges: Das raffinierteste, weil am meisten durchkomponierte Stück ihres neuen Albums ist ein Duett mit Iggy Pop, in dem die beiden über Hotpants und Körperbehaarung streiten.

Vielleicht ist das überhaupt das Erstaunlichste an Peaches, dass eine wie sie jetzt plötzlich Duette mit Ikonen wie Iggy Pop singt. Noch vor wenigen Jahren nämlich finanzierte sich Peaches in Kanada unter ihrem bürgerlichen Namen Merril Nisker mit Computerprogrammen und Theaterunterricht für Kinder. Nebenbei trat sie in Folk-Duos, Avantgarde-Jazz-Bands und als Performerin im Stil von Yoko Ono auf, wie sie sagt, hatte damit aber wenig Erfolg. Eines Tages dann hatte ihr Freund, der Entertainer Gonzales, die Schnapsidee, nach Berlin zu ziehen. Sie kam mit und schnell wendete sich das Blatt für sie. Mit ihrem ersten Album „The Teaches of Peaches“ von vor drei Jahren wurde sie als der neue Lichtblick im Berliner Underground gefeiert – kein Wunder in einer Stadt, wo es vor Unterbeschäftigen, Unbeschäftigten und Arbeitslosen nur so wimmelt, wo Club- und Projektemacher schon zufrieden sind, wenn sie sich einigermaßen über Wasser halten können, wo es in der Musik meistens eher um zögerliche Zwischentöne und Verfeinerung geht als um den großen Knalleffekt.

Mit diesem glaubwürdigen Nischendasein ist es für Peaches spätestens mit Erscheinen ihrer zweiten Platte vorbei. Peaches ist plötzlich in aller Munde. Madonna, Marilyn Manson und Boy George, Christina Aguilera und sogar Britney Spears sollen sich als Fans geoutet haben. Peaches hat nicht nur den besagten Song mit Iggy Pop aufgenommen, sondern auch einen mit Pink, sie hat im Vorprogramm von Björk und den Queens of the Stone Age gespielt, sie ist in einem Kurzfilm von John Malkovich aufgetreten. Ihre Texte werden in Seminaren gelesen und Karl Lagerfeld fotografierte sie für ein Modemagazin. Die Vogue erklärte sie zur Mode-Ikone. Peaches ist der heißeste Scheiß der Stunde, sie ist der Talk of the Town von Berlin bis New York.

Derart hip ist sie inzwischen geworden, dass die zweiflerischen Grüppchen auf ihren Konzerten in Berlin, wo ihre Karriere begann, womöglich bald Zuwachs erhalten werden. „Klar, dass primitive Sexprotzerei wie diese im prüden Amerika gut ankommt“, werden sie immer öfter einwenden, „das sieht man ja schon am Erfolg von Rammstein in den USA.“ Und: „Wenn es normal ist, dass 50 Cent ununterbrochen über Sex singt, und wenn es ein Spektakel sein soll, dass Peaches über Sex singt, dann muss sie doch wohl einer Art Tittenbonus zum Opfer gefallen sein.“

Auch, wenn man Peaches’ Shows noch so mitreißend findet: An dieser Nörgelei ist was dran. Die Nachahmung des männlichen Rockrebellen durch Peaches, des „street fighting man“, der immer „on the run“ ist, immer weg von zu Hause, weg von aller Weiblichkeit, einer Weiblichkeit, die passiv, gehemmt, häuslich und determiniert ist, diese Nachahmung ist selbst nur eine Nachahmung. Schon Joan Jett, die schöne Lack-und-Leder-Joan Jett, vor der Peaches auf dem ersten Stück ihrer neuen Platte eine Verbeugung macht (aus „I don’t give a damn about my reputation“ wird „I don’t give a fuck“), befand sich auf diesem Dampfer, wenn auch nicht ganz so radikal wie Peaches. Wie Joan Jett, aber auch Chrissie Hynde, Patti Smith, Kate Bush oder PJ Harvey kann man sich Peaches prima als Tomboy vorstellen, als Wildfang, der mit den coolen Jungs auf die Bäume stieg und Autos knackte. Wie diese Sängerinnen scheint auch Peaches, die noch kleiner und zierlicher ist als sie alle, an einer Art Peter-Pan-Komplex zu leiden: Feminin zu sein, das wäre der künstlerische Tod. Peter Pan, dieser androgyne Junge, will und darf niemals erwachsen werden. Nur so kann er die Ordnung der Geschlechter weiter untergraben.

Haben da andere Performance-Künstlerinnen nicht schon viel früher viel schillerndere Dinge angerissen, wenn es um Sex und Gender ging? Yoko Ono zum Beispiel forderte schon 1964 bei ihrer Performance „Cut Piece“ das Publikum auf, ihr die Kleidung vom Leib zu schneiden. Valie Export lieferte 1968 bei der Performance „Tapp- und Tastkino“, ihre Brüste in einem kleinen Karton den Berührungen von Passanten aus. Oder selbst Annie Sprinkle, über die sich Peaches übrigens im Gespräch regelrecht in Rage redet: Diese ehemalige Tänzerin, Pornodarstellerin und Prostituierte, die inzwischen in Amerika eine gefragte Performerin ist, führt sich in ihren Shows ein Spekulum ein und lässt die Zuschauer ihre Eileiter betrachten. Zwischen Performerinnen wie diesen und Peaches gibt es eine Gemeinsamkeit: Auch Peaches stellt nicht nur sich selbst aus, sondern auch den Voyeurismus ihrer Zuschauer. Es gibt aber auch einen Unterschied: Yoko Ono, Valie Export oder selbst Annie Sprinkle zeigen sich verletzlich und unfähig, die Grenzen ihres Geschlechts zu überschreiten. Peaches dagegen behauptet zwar, dass sie ganz und gar echt sei auf der Bühne, in Wirklichkeit aber verschwindet sie vollständig hinter ihrer Kraftmeierei und der Anstrengung, möglichst männlich zu erscheinen.

Mag sein, dass Performerinnen wie Valie Export, Yoko Ono und selbst Annie Sprinkle weiter gekommen sind als Peaches. Fragt sich nur, für wen sie weiter gekommen sind. Denn auch wenn die Show von Peaches und noch viel mehr ihre Musik ein Puzzle aus Altbekanntem ist: Wenigstens hat Peaches den feministischen Umgang mit Sex auf der Bühne aus dem Ghetto geholt. Sie hat die Sexshow aus der Schmuddelecke geholt, hat ihr auch den Mief des Workshops genommen und sie in den Pop überführt. Sie hat sie schick und konsensfähig gemacht. Und außerdem: Im Vergleich zur neuen Niedlichkeit, zur neuen Natürlichkeit, einem gefälligen Frauenbild im Pop, das vor allem in schlechten Zeiten immer Konjunktur zu haben scheint, ist Peaches immer noch eine Wohltat. Denn Peaches will wenigstens was. Sie ist aggressiv und ihre Performances haben die Energie eines Kernkraftwerks.