Jetzt nicht, Schatz

Es ist verfehlt, von einem „Gebärstreik“ zu reden. Tatsächlich ist es doch so: Die Jungs haben keine Lust auf Kinder. Noch nicht

von ULRIKE WINKELMANN

„Ja, Schatz, aber nicht dieses Jahr – vielleicht übernächstes?“ Wie viele Frauen haben diesen Satz schon gehört? Gegenprobe: Wie viele Männer haben ihn schon gehört?

Merkwürdig, dass die Demografie ausschließlich damit beschäftigt ist, dem Geheimnis von Frau und Fruchtbarkeit auf den Grund zu gehen. Denn dass so wenige Kinder geboren werden, könnte auch einen anderen Grund haben: Die Jungs haben keine Lust. Die wenigen Statistiken, die sich um Männer und Kinder kümmern, belegen, dass viel mehr Männer kinderlos bleiben als Frauen. Es gibt also mehr Mütter als Väter – weniger Männer, die Kinder produzieren wollen, als Frauen. Doch man muss gar keine Statistiken und ihre Abgründe bemühen. Die Erfahrung jedes Party-, Kneipen- und Küchentisch-Gesprächs lehrt: Es sind die Frauen, die Kinder wollen. Und es sind die Männer, die keine wollen. „Noch nicht“, wie sie wohl ergänzen würden. Schatz.

Es ist daher völlig verfehlt, beim Thema Kinderlosigkeit und Geburtenrate von einem „Gebärstreik“ zu reden. Wenn überhaupt, dann haben wir es mit einem Zeugungsstreik zu tun.

Zur notwendigen Einschränkung: Die meisten machen ja irgendwann immer noch, was die Gesellschaft von ihnen erwartet. Sie ziehen zusammen, heiraten und kriegen Kinder. Wunderbar. Und viele Männer müssen zwar nicht sofort Kinder haben, aber sträuben sich nicht nachhaltig. Auch gut. Dann gibt es noch die vielen Ausnahmen: Ungewollte Kinderlosigkeit; er will, aber sie nicht; beide wollen nicht und so weiter.

Zweifellos aber steckt ein Haufen Leute – eher städtisch als dörflich, eher studiert als unstudiert – wieder mitten im Geschlechterkrieg. Er wird um eine Lücke ausgefochten: Sie klafft zwischen dem Tag, an dem die Frau sich erstmals ein Kind wünscht, und dem Tag, den der Mann für einen geeigneten Geburtstermin hält.

Die erste Generation Mädchen, die genauso gut ausgebildet und ebenso selbstbewusst ist wie ihre Brüder, hat mittlerweile gemerkt, dass Beruf und Karriere nicht Endpunkt allen Sehnens sind. Diese jungen Frauen sind so selbstbewusst, dass sie sich alles gleichzeitig zutrauen: Geld verdienen und Kinder haben. Sie glauben an ihre Fähigkeiten und ihre Chancen und haben Lust auf den Spagat.

Und zwar nicht erst mit 40. Nun hat auch Madonna ihr erstes Kind mit 38 bekommen, jaja. Und dann gibt’s noch die Filmfrauen, die mit 40 und Baby aussehen wie andere mit 20 und ohne Baby. Aber nicht so viele Mütter wollen 60 werden, bevor ihr Balg in eine eigene Wohnung zieht. Und nicht so viele Frauen glauben, dass ihr Körper eine Geburt mit 40 so gut verkraftet wie mit 30.

Und was macht die erste Generation Jungen, deren Schwestern ihnen großmäulig und im großen Stil viele gute Stipendien und Jobs geklaut haben? Sie streiken. Streiken gehört zu den legitimen Formen der Interessenvertretung, und da muss man sich nicht wundern, dass Vorteile voll ausgespielt werden – zum Beispiel biologische Vorteile. Welchen Grund sollte ein Mann haben, sich jetzt die Nächte mit Babygeschrei ruinieren zu lassen, wenn er das in zehn Jahren ebenso gut noch tun kann?

Auch Männer haben gelernt, ihre Lebenschancen zu kalkulieren: Dazu gehört, dass sie sich jederzeit eine jüngere Frau suchen können, wenn die jetzige zu alt zum Kinderkriegen geworden ist oder sich zu alt dafür fühlt. Für Einfühlung in weibliche Gebärschlusspanik ist in solchen – vielleicht auch nur halbbewussten – Berechnungen kein Platz. Und Mitleid will sowieso keine Frau. Sie will einen gemeinsamen Willen.

Und den zu finden, ist so schwer. Wahrscheinlich hat es ihn nie gegeben. Wahrscheinlich war es überhaupt nie Frage eines gemeinsamen Willens, der Paaren Kinder beschert hat, sondern eine Frage der Konvention. Also keine Frage, sondern vielmehr ein Einfach-so, ein So-ist-es-eben. Aber seitdem die Männer nicht nur Geld beschaffen, sondern auch mit windeln sollen, und seitdem die Frauen nicht nur windeln, sondern auch beruflich mobil und flexibel sein sollen, steht eben alles in Frage.

Zum Beispiel auch, warum man sich überhaupt noch zusammentun soll. Sex kriegt man auch so. Und Beziehungen sind in jeder Hinsicht hinderlich. Über alles muss man sich auseinander setzen: das Urlaubsziel, die angemessenen Schuhe auf Papas 60. Geburtstag, die richtige Menge Mayonnaise im Kartoffelsalat und den Grund, warum die beste Freundin beleidigt sein könnte. Und das erlebt man in diesen Tagen nicht mehr, dass sich für zwei Leute gleichzeitig ein neuer Job in derselben Stadt bietet. Eigentlich bietet sich ja zurzeit für überhaupt niemanden irgendwo irgendetwas. Wer wollte sich da von Beziehung und Kinderwunsch klammern lassen? Wie soll das denn alles gehen?

Das Gleiche zu wollen – das ist der Traum einer Welt, in der nur der eigene Wille zählt. Kein Kleister der Konvention soll mehr verkleben, was zu zweit möglich wäre. Und siehe da, nichts scheint mehr möglich. Die einen sind schon so lang zusammen, dass eine noch größere Zweisamkeit qua Kind nicht mehr vorstellbar ist. Die anderen lernen sich erst in einem Alter kennen, da die Frage „Will die etwa ein Kind?“ schon nach dem zweiten Bier Luft und Lust verpestet.

Vielleicht geht es eben nicht mehr. Vielleicht hat das Modell Liebe-Beziehung-Kinderkriegen zurzeit keine Chance. Nicht, wenn alle so frei sind, nicht zu wollen. Vielleicht gibt’s das gar nicht: Kinder der Freiheit.