Stahlhelm ersetzt rote Pudelmütze

Ein neuer Krisenherd in Westafrika: Im Kleinstaat Guinea-Bissau hat das Militär geputscht. Aber die neuen Machthaber wollen keine Krise schaffen, sondern eine beenden. Der gestürzte, gewählte Präsident Kumba Yala galt zuletzt als Instabilitätsfaktor

von DOMINIC JOHNSON

Auf diesen Putsch hat Guinea-Bissau lange gewartet. Die meisten der 1,2 Millionen Bewohner des bitterarmen westafrikanischen Kleinstaats waren schon lange mit Präsident Kumba Yala unzufrieden. Der 2000 im Alter von 47 Jahren zum Staatschef gewählte Philosoph, der in der Öffentlichkeit immer in roter Pudelmütze auftritt, galt als Alkoholiker und Willkürherrscher. Am Sonntagmorgen verkündete ein Armeekommandant im Staatsrundfunk, die Regierung sei aufgelöst. Dann empfing ein Korrespondent des portugiesischen Fernsehens Generalstabschef Verissimo Seabra zum Interview und fragte ihn, ob er Präsident sei. Seabra antwortete: „Ja“.

Es ist nicht das erste Mal, dass Guinea-Bissaus Armee die Macht ergreift. Soldaten genießen hohes Ansehen im einzigen Land Westafrikas, in dem eine bewaffnete Befreiungsbewegung die Kolonialherrschaft beendete – 1975, gegen Portugal. Die Veteranen des Befreiungskrieges dominierten danach das politische Leben, und im Juli 1998 erhoben sie sich unter Führung ihres damaligen Chefs Ansumane Mané gegen den damaligen Präsidenten Nino Vieira, der die einstige portugiesische Kolonie in ein enges Bündnis mit dem großen frankophonen Nachbarn Senegal geführt hatte. Es folgte ein Einmarsch Senegals, eine westafrikanische Militärintervention, ein Putsch und schließlich Wahlen, die Oppositionschef Kumba Yala gewann. Gegen den erhob sich Mané erneut im November 2000 und wurde umgebracht.

Die erhoffte Beruhigung des Landes schaffte Kumba Yala aber nicht. Ständige Ministerentlassungen, Zwist mit sämtlichen Parteien einschließlich der eigenen, Kompetenzstreit mit der Justiz und vor allem das Fortdauern der ökonomischen Misere prägten seine Herrschaft. Guinea-Bissau ist potenziell wohlhabend, vor allem wegen seiner fischreichen Gewässer; aber vom Zusammenbruch der Wirtschaft im Bürgerkrieg 1998–99 hat es sich nie erholt, und im öffentlichen Dienst sind dieses Jahr noch keine Gehälter gezahlt worden, abgesehen von einem Sack Reis pro Beamten. Nach UN-Angaben leben heute 88 Prozent der 1,2 Millionen Einwohner unter der absoluten Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag.

Seit Monaten konstatiert die UNO, die in der Hauptstadt Bissau eine zivile Mission von 30 Mann zur Überwachung des Friedensprozesses unterhält, steigende soziale und politische Spannungen. Alle Hoffnungen ruhen auf Parlamentswahlen, die eigentlich längst hätten stattfinden müssen: Präsident Yala löste das Parlament am 15. November 2002 auf, und Neuwahlen waren laut Verfassung innerhalb von 90 Tagen vorgeschrieben. Als Wahltermine wurden hintereinander 23. Februar, 20. April, 6. Juli und 12. Oktober verkündet, bis die Wahlkommission am vergangenen Freitag auch den letzten Termin für technisch undurchführbar erklärte.

Währenddessen nahm die Verfolgung politischer Gegner zu. Am 5. September meldete der Rundfunk, Premierminister Mario Pires habe auf einer Wahlveranstaltung gewarnt: „Wenn die Opposition die Wahlen gewinnt, werden nicht einmal die Krabben verschont bleiben. Alle unsere Dörfer werden ausgerottet.“ Sogar seine eigene Partei distanzierte sich von diesem kaum verhüllten Aufruf zu Gewalt.

Die Militärs stellen ihren Putsch als Versuch dar, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Sie betonten, Yala – der sich freiwillig in Armeegewahrsam begab und gestern wieder freikam – gehe es gut. Sie wollen „die Autorität des Staates wiederherstellen, die Verwaltung von Parteilichkeitsvermutungen lösen und die Grundlagen für Wahlen schaffen“. Gestern nahmen sie Beratungen zur Bildung einer Übergangsregierung unter Führung eines Zivilisten auf. Ihre Mäßigung erklärt, warum die internationalen Verurteilungen des Putsches zumeist nicht mit Drohungen verknüpft sind.

Guinea-Bissaus neuer starker Mann Verissimo Seabra erhielt seine Ausbildung in Libyen und verdankt seine Karriere dem getöteten Exputschisten Mané. Aber während Mané 1998 als regionaler Destabilisierer verteufelt wurde, unter anderem wegen Verbindungen zum regionalen Waffenschmuggel, kann Westafrika heute angesichts der Bürgerkriege in der Elfenbeinküste und Liberia einen weiteren Krisenherd kaum gebrauchen. „Ein Gefühl der Erlösung“ titelte Senegals regierungsnahe Tageszeitung Sud Quotidien gestern ihren Kommentar zum Putsch und betonte, die Bevölkerung habe ihn freudig begrüßt.