Ein Bündnis mit Zukunft

Zum ersten Mal haben Schwellen- und Entwicklungsländer auf einer WTO-Konferenz erfolgreich ein Bündnis gegen EU und USA geschmiedet

aus Cancún KATHARINA KOUFEN

Erst dachten alle, der Lärm komme von einer Protestaktion, WTO-Gegner hätten es wieder bis ins Pressezentrum geschafft. Doch die Männer, die im Foyer durcheinander riefen, waren Afrikaner in hellblauen Hemden und schwarzen Bügelfaltenhosen. „It’s over, it’s over“ hörte man aus dem Stimmenchaos. Und kurz darauf sagte der kenianische Delegierte George Odour Ong’wen in die Fernsehkameras: „Es ist vorbei. Die Welthandelskonferenz ist gescheitert.“ Das war am Sonntagnachmittag kurz nach 16 Uhr Ortszeit in Cancún. Nicht zum ersten Mal war eine WTO-Konferenz gescheitert, aber zum ersten Mal einzig am entschlossenen gemeinsamen Widerstand der Entwicklungsländer. Sie hatten erfolgreich Allianzen geschmiedet. Viele ihrer Vertreter jubelten und fühlten sich als Sieger, mit ihnen die Abgesandten zahlreicher Nichtregierungsorganisationen. Der vor zwei Jahren beschlossene Zeitplan der WTO, im Januar 2005 einen neuen Vertrag zur Welthandelsordnung abzuschließen, ist jetzt nicht mehr zu halten.

Die Stimmung auf der Konferenz war angespannt gewesen, seit Mexikos Aussenminister Luis Ernesto Derbez einen Entwurf für eine Abschlusserklärung vorgelegt hatte. Niemand war wirklich zufrieden mit dem Kompromisspapier. Einer Gruppe aus 23 Entwicklungsländern gingen die Angebote der EU und der USA zum Abbau von Agrarbeihilfen und Exportsubventionen nicht weit genug. Aus EU-Kreisen hingegen war zu hören, „diese G 23 fordert immer nur und macht selbst keine Zugeständnisse“.

Die erwarteten die Europäer besonders bei den so genannten Singapur-Themen. Vor allem Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wollte möglichst schnell über alle vier Themen Verhandlungen aufnehmen: Über ein neues Investitionsabkommen, über den Abbau von Zoll-Bürokratie, über mehr Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und über Wettbewerbsregeln. Außer der Europäischen Union setzten sich die USA und Korea für die Singapur-Themen ein.

Zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer hatten dagegen angekündigt, Verhandlungen darüber in Cancún strikt abzulehnen. Sie fürchten, sich unter Zeitdruck mit neuen komplizierten technischen Details auseinander setzen zu müssen. Ein Investitionsabkommen etwa hätte weit reichende Folgen: Die Länder könnten dann nicht mehr in Eigenregie bestimmen, zu welchen Bedingungen Ausländer Unternehmen gründen oder Hotels bauen dürfen.

Bis spät in die Nacht hinein dauerten am Samstag die Auseinandersetzungen. Um halb zwei war das offizielle Delegiertentreffen vorbei. Eine Hand voll besonders „sturer“ Schwellenländer – darunter Indien, Malaysia, Brasilien, Kenia, China, Mexiko und Südafrika – wurden von den USA und der EU zu einer der berüchtigten „Green Room“-Sondersitzungen hinter verschlossenen Türen geladen. „Sie haben Druck ausgeübt“, sagte ein Sprecher der indischen Delegation später. Die Vertreter von EU und USA hätten den Ländern Zugeständnisse im Agrarbereich versprochen, wenn sie im Gegenzug Verhandlungen über alle vier Singapur-Themen absegneten. Malaysia, Kenia, Indien und Südafrika hätten jedoch gleich darauf beschlossen: Keine Zusage, solange wir nicht wissen, was genau uns in der Landwirtschaft angeboten werden soll.

Pech für die WTO: Am nächsten Morgen stand das Thema der reichen Länder zuerst auf der Agenda und das der Entwicklungsländer, der Agrarhandel, erst später. „Wir konnten keine Zugeständnisse zu den Singapur-Themen machen, solange wir nicht über Agrar geredet hatten“, erklärte später der brasilianische Außenminister Celso Amorim. 31 Schwellen- und Entwicklungsländer weigerten sich daher, überhaupt über die Singapur-Themen zu sprechen. Daraufhin erklärte der mexikanische Außenminister die Verhandlungen für gescheitert.

Die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas vertraten am Sonntag einhellig die Meinung: Besser eine gescheiterte Konferenz als ein schlechtes Ergebnis. Die Delegierten der USA und der EU waren aufgebracht. „Manche Länder sollten sich entscheiden, ob sie ein Zugeständnis machen oder ein Problem“, ätzte der Amerikaner Robert Zoellick, der müde und genervt wirkte. EU-Handelskommissar Lamy nannte die WTO eine „mittelalterliche Organisation“, der jede Verhandlungskultur fremd sei. Sein Agrar-Kollege Franz Fischler tat verständnislos: Die EU sei doch bereit gewesen, „die Hauptlast einer Entwicklungsrunde zu schultern“. Man habe durchaus noch weitere Angebote zu Reduzierung der Agrar-Beihilfen machen wollen. Zoellick verwies darauf, dass die USA schließlich schon kurz vor Cancún den Entwicklungsländern den Import von billigen Arzneimittelkopien erlaubt hätten. Und alle drei waren sich einig: Weniger Freihandel schadet niemandem mehr als den Entwicklungsländern selbst.

Jetzt, so malen Minister wie Wolfgang Clement aus, drohe der Rückfall in den Bilateralismus, den Abschluss von Handelsverträgen zwischen einzenlen Ländern, wobei die reichen die armen gegeneinander ausspielen können. Die EU und die USA sehen sich bei diesem Spiel als Gewinner: „Wir haben eine lange Schlange von Ländern an unserer Tür, die bilaterale Abkommen schließen wollen“, sagte ein EU-Vertreter. US-Mann Zoellick erinnerte daran, dass sein Land bereits Freihandelsabkommen mit 6 Staaten unterzeichnet habe und mit weiteren 14 verhandle. Und bis Ende 2005 will die US-Regierung sich ihr eigenes Freihandelsreich zwischen Alaska und Feuerland schaffen. MIT DPA