beiseite
: Billigbüchertüten

Bei Jokers

Es gibt moderne Antiquariate, in denen man sich blicken lassen kann, und andere, in denen fühlte man sich peinlich berührt, wenn man dort einen Bekannten träfe. Zu denen, in denen man sich blicken lassen kann, gehören zweifellos Wohltat’s und Zweitausendeins, die Buchläden, in denen selbst linke Akademiker mit ihren dicken Billigbüchertüten angeben, die sie nach Hause schleppen – Literatur darf nichts kosten, damit sie unters Volk kommt.

Zu den weniger schicken modernen Antiquariaten jedoch gehört Jokers, eine Tochter des Weltbild Verlags, die sich im Internet, per Katalog und neuerdings auch zum Anfassen, zum Beispiel in einem Laden in der Berliner Friedrichstraße – „mitten in Berlin“, wie es heißt – auf so genannte Restseller spezialisiert hat. Wer einen Jokers-Katalog in seinem Briefkasten findet, der fühlt sich automatisch wie die älterere Hausfrau auf dem Land, die übrigens auch Mitglied im Bertelsmann-Club ist. Und tatsächlich bestätigt sich sofort jedes Vorurteil, wenn man einen Jokers-Laden betritt und die Klientel beobachtet. Ältere Damen treffen sich hier, da sie es sich jetzt, im Ruhestand, endlich leisten können, und sehen sich nach einer Rita Mae Brown oder einer Barbara Wood um, die sie noch nicht haben. Fünfzigjährige Ehepaare halten Ausschau, was sie für ihr neues Bücherbord tun können – oder ob es vielleicht einen tollen neuen billigen Ratgeber gibt: Vielleicht „Gruselige Halloween-Masken“ für nur 1,95 Euro statt früher 6,90 Euro für sie und „Dachausbau – Beispiele, Pläne, Anleitungen“ für nur 2,95 Euro statt früher 17,79 Euro für ihn? Oder doch lieber „Gute Ehen“ für nur 7,95 Euro statt früher 21 Euro für sie und „Streiten – aber richtig“ für nur 2,50 Euro statt früher 8,90 Euro für ihn? Eine verschüchterte Studentin mit schlabbrigem Samtmützchen, wahrscheinlich Fachbereich Kunstgeschichte, guckt derweil ein bisschen nach Macke, Monet und Matisse.

Auch was die Einrichtung angeht, fühlt man sich im neuen Berliner Jokers-Laden alles andere als heimelig. Mit seinen roten Blechregalen auf grauem Fliesenteppich hat man eher das Gefühl, man habe sich in einem hypermodernen Warteraum eines Zahnarztes verirrt. In der Mitte steht ein Lesetisch mit einer milchgläsernen Lichtsäule in der Mitte und roten Lesesesseln, auf denen niemand sitzt. Es ist gar nicht so einfach, sich zwischen all den wenig versprechenden Abteilungen „Hobby“, „Reisen“ und „Essen und Trinken“ zurechtzufinden. Ach, „Zähne zeigen“ von Zadie Smith, nur ein paar Euro, das kann man ja vielleicht mal verschenken! Erzählungen von Paul Bowles, warum eigentlich nicht? Und da hat sich sogar Michael Kumpfmüllers „Hampels Fluchten“ zwischen einer Joy Fielding und einer Anne Rice verirrt! Man packt also ein paar Bücher zusammen, kommt am Ende doch wieder eine stolze Summe zusammen, sortiert die Bücher wieder ein und denkt sich, um sich ein wenig zu beruhigen: Ist doch eh eine Schweinerei, sich so um die Buchpreisbindung herumzuschleichen. Dann doch lieber Geld ausgeben beim kleinen Lieblingsbuchhändler um die Ecke.

SUSANNE MESSMER