Wohldosierter Glamour für Hamburg

Eine Asta Nielsen-Hommage, neue Programmreihen und über 80 Filme aus aller Welt: Morgen beginnt das Filmfest Hamburg

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Wenn morgen das Filmfest Hamburg eröffnet, steht zugleich für eine gute Woche seine neue Leitung auf dem Prüfstand. Im neunten Jahr des Festivals übernahm nach Josef Wutz im Januar Alfred Wiederspiel die Programmgestaltung. Erste Maßnahmen des bisher im Verleih Tätigen: die Deklaration einer, freilich etwas kurvigen, „Kino-Meile“, an der die Abspielorte des Festivals liegen, und die dankenswerte Abschaffung der esoterischen Farbreihen, nach denen das Präsentierte zuvor unterteilt wurde.

Das Hamburger Filmfest, in erster Linie ein Publikumsfestival, bemüht sich mit zahlreichen Branchentreffs in diesem Jahr verstärkt um die Professionellen der Szene. In der neuen Reihe „DVD“ darf sich die Videobranche mit exklusiven Screenings und zwei Veranstaltungen als „Lokomotive der Filmindustrie“ vorstellen. Aus „TV made in Hamburg“ wurden die Reihen „TV made in Germany“ und „Moin, Moin – Kino made in Hamburg“. Mit einer Hommage (siehe Kasten), einem allabendlichen „Hyatt-Filmtalk“ in den Kammerspielen und mehr rotem Teppich als bisher sucht Hamburg allem Anschein nach den Anschluss an die Festivals von Berlin und München.

Mit dem Douglas Sirk-Preis wird in diesem Jahr eine Schauspielerin geehrt. Nach Filmemachern wie Wong Kar-wai, Majiid Majidi oder Aki Kaurismäki nimmt ihn gegen Ende des Festivals Isabelle Huppert von Kultursenatorin Dana Horáková in Empfang – auf einer geschlossenen Veranstaltung. Zu sehen ist Huppert in Wolfszeit, dem neuen Film von Michael Haneke.

Über den roten Teppich laufen wird auch ein anderer der Großen des Films: Peter Greenaway, der mit The Tulse Luper Suitcase, Part I: The Moab Story im über 60 Filme umfassenden Panorama (schlicht „Das Programm“ genannt) vertreten ist. Zur Aufführung der in den US-amerikanischen Depressionsjahren angesiedelten Moritat Dogville werden allerdings weder Regisseur Lars von Trier noch seine Hauptdarstellerin Nicole Kidman erwartet. Denn der Rechts-Senat beschloss zwar einen „Ausbau des Filmstandorts Hamburg“ – im Klartext: das Aushungern der kleineren, autonom arbeitenden Filmeinrichtungen zugunsten zentraler Institutionen. Doch Horáková ist kaum bereit, für das gewünschte mehr an Glamour tiefer in den Säckel zu greifen. Das Festival weist trotzdem eine Gästeliste von über 100 Filmschaffenden auf.

Mit insgesamt sieben dänischen und einem dänisch koproduzierten Film hat Wiederspiel, der in Dänemark aufwuchs, fast schon einen kleinen Länderschwerpunkt geschaffen. Nimmt man die Auswahl für repräsentativ, ist weitgehend Schluss mit Dogma. Zwei der mit dänischen Geldern produzierten Filme finden sich in der neuen Reihe „eurovisuell“. Sie vereint zwölf einheimisch produzierte Blockbuster aus anderen europäischen Ländern, unter denen das hiesige Publikum seinen Favoriten wählen soll. Neben Per Flys Familien- und Industriellen-Geschichte The Inheritance mit dem Das Fest-Darsteller Ulrich Thomsen läuft dort der neue Film des schwedischen Regisseurs Josef Fares (Jalla! Jalla!). Seine Komödie Kops um ein paar Polizisten in der Provinz, die vom Kündigungshammer bedroht die zu bekämpfenden Verbrechen kurzerhand selbst begehen, geizt weder mit Matrix-Einlagen noch mit Coen‘schem Sarkasmus. Mit der Tschechischen Republik, Österreich, Bulgarien oder Portugal sind in der Reihe vorwiegend kleine Kino-Nationen vertreten, deren Filme im Ausland selten einen Verleih finden.

Jeweils drei iranische und israelische Produktionen beleuchten die Situation im Mittleren und Nahen Osten. Wo Abolfazl Halilis Adjad auch einen Blick auf das Schicksal von Juden im Iran zur Zeit der Machtübernahme der Islamisten wirft, stellen David Ofek und Yossi Madmony in ihrem Melodram The Barbecue People eine Familie ins Zentrum, die zur Zeit der Staatsgründung Israels aus dem Irak eingewandert ist. Und wie dieser sucht Ra‘anan Alexandrowicz mit seiner Farce James‘ Journey to Jerusalem eine neue Perspektive auf Israel, wenn er seine Titelfigur, einen jungen schwarzen Einwanderer, unversehens vom christlichen Pilger zum ausgebeuteten Arbeitsmigranten werden lässt. Mit dem Mythos, die kleine Filmindustrie Israels bringe jüngst hauptsächlich cineastisch wenig interessante Auseinandersetzungen mit dem Krieg gegen die Palästinenser hervor, räumt auch A Five Minute Walk auf. Für sein Debüt wagte sich Itai Lev erfolgreich an eine Detektivgeschichte im Drogenmilieu Tel Avivs, und wird schon mit Tarantino und Jarmusch verglichen.

Bedient wird vom Filmfest aber auch, wer nicht warten möchte, bis Gus Van Sants Elephant, der in Cannes dieses Jahr dem hoch gehandelten Lars von Trier die Goldene Palme streitig gemacht hat, einen Verleih gefunden hat. Der Film über ein Highschool-Massaker begegnet mit seiner prismenhaften Struktur und einem geschickten Hinweis auf den Eklektizismus der NS-Ideologie allzu simplen Ansichten über die Motivation der Täter.

19. bis 26.9., Programm siehe www.filmfesthamburg.de