Asche zu Asche, Staub zu Stausee

In Spanien sollen Massengräber mit Opfern von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur in Talsperren verschwinden. Die Nachkommen der Toten protestieren – bisher vergebens. Leichen toter Franquisten werden mit mehr Sorgfalt bedacht

aus Madrid REINER WANDLER

Die Erinnerungen vieler spanischer Familien liegen verschüttet in Straßengräben oder irgendwo auf dem Feld. Das ganze Land ist überzogen von Massengräbern aus der Zeit des Bürgerkrieges (1936–1939) und der Franco-Diktatur (1939–1975). Die Angehörigen der über 150.000 Verschwundenen haben sich längst damit abgefunden, ihre Toten nicht auf einem Friedhof beweinen zu können. Die Angst davor, das Recht auf Wahrheit einzufordern, sitzt nach 40 Jahren Diktatur noch immer tief.

Doch jetzt reißen Bagger in südspanischen Dorf Orgiva tiefe Wunden auf. Sie bauen ausgerechnet dort Dämme für einen Stausee, wo zwischen 3.000 und 5.000 Verteidiger der von Franco hinweggeputschten spanischen Republik standrechtlich erschossen und anschließend verscharrt wurden.

„Wir fordern einen Baustopp, um die Gegend zu untersuchen“, erklärt Emilio Silva, Vorsitzender der Vereinigung zur Rückgewinnung der historischen Erinnerung. Ein Großteil der Bevölkerung der umliegenden Dörfer schließt sich ihm an. Zwar hat ihm der Bürgermeister des Ortes das Recht auf Ausgrabungen eingeräumt, doch aus dem Ministerium für öffentliche Arbeiten der konservativen Regierung von José María Aznar in Madrid, das für das Stauseeprojekt zuständig ist, schweigt zum Thema und lässt weiterbauen. „Hier in Orgiva liegen mehr Leute in Massengräbern als sonst irgendwo in Spanien“, weiß Silva.

„Es kamen immer wieder ganze Lkws voll mit Republikanern und Leuten aus der Linken an. Sie wurden von den Franquisten erschossen. Wer noch lebte, wurde mit Pistolenschüssen oder mit Dolchstößen endgültig ermordet“, erinnert sich Simón Pérez Rodríguez. Der Schäfer wurde im Alter von neun Jahren Augenzeuge, wie die aufständischen Truppen unter Francisco Franco und deren faschistischen Anhänger die Dörfer am Südhang der Sierra Nevada durchkämmten und „die Roten“ wie Vieh zusammentrieben und hinrichteten. „Wie grausam muss das alles gewesen sein? Selbst die Ziegen gewöhnten sich mit der Zeit an die Schüsse und weideten ruhig weiter“, berichtet der heute 76-Jährige.

Die Bewohner von Orgiva verlangen, dass statt des Stausees ein Denkmal errichtet wird. „Doch uns wird von offizieller Seite kein Verständnis entgegengebracht“, beschwert sich Silva. Der Journalist aus Madrid hat vor drei Jahren die Diskussion um die Verschwundenen aus Krieg und Diktatur zurück in die öffentliche Debatte gebracht, indem er seinen im Bürgerkrieg erschossenen Großvater sowie zwölf seiner Kameraden ausgrub. Seither melden sich immer mehr Angehörige Verschwundener bei ihm. 35 Gräber wurden bereits geöffnet. Weitere Ausgrabungen stehen an. Unter anderem soll das Massengrab gesucht werden, in dem Spaniens Nationaldichter Federico García Lorca verscharrt wurde, nachdem ihn die Franquisten 1936 in der Nähe von Granada erschossen.

Wenn es um tote Franco-Anhänger geht, zeigt die spanische Regierung mehr Entgegenkommen als bei der Suche nach den Verschwundenen. So hat das spanische Verteidigungsministerium jetzt ein Sondertelefon eingerichtet, bei dem sich Familienangehörige der Franquisten melden können, die in der „Brigada Azul“ aufseiten Hitlers am Überfall auf die Sowjetunion teilnahmen und dort fielen. Das Ministerium bietet den Familien an, in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge die in Russland Beerdigten zu exhumieren und nach Spanien zu überführen, wo sie dann erneut beigesetzt werden sollen. „Wir bedauern, dass die Angehörigen von Republikanern, die in Massengräbern verscharrt wurden, nicht genauso unterstützt werden“, erklärt Silva.