zwischen den rillen
: Pop der Marke 1972: David Bowie und Josh Rouse

Das permanente Werden

Mit der Wiederkehr hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Seit „Terminator 2“ hat sich von Arnold Schwarzenegger das Bild der guten Kampfmaschine eingeprägt, die auf die Erde gekommen ist, um die Menschheit zu retten. Dass die Figur zu Beginn als abgrundtief böser Automat angelegt war, ist vor lauter Hasta-la-vista-Arnie völlig vergessen. Die neue Stoßrichtung der Story hat das Original dermaßen überlagert, dass dessen frühere Gestalt kaum noch durchschimmert.

Auch David Bowie war schon mehrmals da. Als Ziggy Stardust mit seinen Spiders from Mars oder als Thin White Duke, der Mitte der Siebzigerjahre auf die Erde fiel. Dann kamen mäßige 80ies-Uni-Feten-Platten, hier ein Soul-Hallöchen mit Mick Jagger, dort zwei Stomper für den VIP-Bereich. Später noch mal zurück auf Start, 1999 mit viel Verletztheit in der schwankenden Stimme des fortschreitenden Alters: Einsames „Thursday Child“, das weiß, „nothing much happened all the same“.

Es ist schwer zu sagen, wann es Bowie nicht mehr ums Ganze ging. Denn daran ändert auch der Vitalrock wenig, der einem auf „Reality“ aus tausend Windmaschinen entgegenweht. Stets wird seine eigene Neuerfindung zwar mit größter Werbeeffizienz herausposaunt; doch beim Hören hinterlässt die Marke Bowie nie den Eindruck, als sollte man diesen angeblichen Mut wirklich schätzen lernen oder gar an einzelnen Liedern genießen. Wie auch? Die enorme Hetze, mit der hier von Stil zu Stil, durch eine Feedback-Version von Jonathan Richmans „Pablo Picasso“ oder ein zu Herzen gehendes Tribute an George Harrison gezappt wird, lässt gar nicht erst Interesse, womöglich Anteilnahme zu. Es gibt weder Zeit noch Raum, um in die Musik hineinzuwachsen.

Der Bowie 2003 besiegelt ein Programm aus 35 Jahren Bowie-Sein, das vom Kult des permanenten Werdens zehrt. Der pathetische Überschlag im Gesang, die über den Rock-'n'-Roll-Dreischritt hinausgleitenden Harmonien gehören zum Repertoire wie der für den Winter angefressene Speck bei Waldmäusen. Dieser hohe Grad an Sättigung, auch Professionalität, mit der Bowie die unkaputtbaren Glitter- und Glamourmythen der Anfangszeit mit der introvertierten Gebrochenheit des Chansonliebhabers und Brecht-Interpreten kontrastiert, erzeugen zwar das Bild eines ungeheuer kreativen Popbewegers. Aber im Kern steht jedes Bowie-Stück seltsam still und sehnt sich nach vergangenen Abenteuern, die in London 1973 auf „Jean Jeanie“ oder „Rebel Rebel“ hinausliefen, oder in Berlin drei Jahre später auf „Low“ und „Heroes“. Natürlich weiß Bowie genau, wo die Unzufriedenheit drückt: Dann singt er spöttisch Zeilen wie „I’m never ever gonna get old“ und schiebt sich mit der Single „New Killer Star“ in die Charts. Auch darin hat er Routine.

„1972 war wohl das Jahr, in dem Bowie erstmals eine Vorahnung von der Macht der Popmusik bekommen sollte.“ Dieser Satz aus dem Info zu „Reality“ passt. Nicht auf Bowie, sondern auf Josh Rouse, der in diesem schillernden Jahr geboren wurde und ihm eine gleichnamige CD gewidmet hat. Nicht wegen Bowie, sondern wegen des Glücksversprechens, das für Rouse in der Zahl magisch aufblitzt, weil er den Sound dieser Zeit mit der Leidenschaft eines ewig verliebten Teenagers buchstabiert. Vielleicht oder gerade weil Rouse in Nebraska, dem mittleren Nowhere-Westen der USA, aufwuchs, weil er in seiner Jugend eher U2 oder The Cure mochte als Indiepunk und weil bei ihm nach drei Alben mit Neo-Folkanklängen der Knoten geplatzt ist – willkommen im Land von Oz, wo Pop und Soul zusammenfließen.

Schon im Titel schmachtet Rouse die gute Songwritingzauberin Carole King an und schnurrt auch sonst mit heller Freude über Melodiewölkchen hinweg, zu denen seine Eltern vermutlich Schmuckengel in Poesiealben geklebt haben. Dann ist von „Love Vibration“ die Rede, zu der eine Orgel im Breitcordshuffle wippt, und in „James“ werden dutzendweise Streicher aus dem Himmel geholt. Doch dieses Einverstandensein hat mit aufgesetztem Retro zwischen den Generationen nichts zu schaffen. Rouse möchte nicht bloß wissen, wie es sich damals angefühlt haben muss; er will überhaupt die innere Logik des Vergangenen durchdringen, will nicht die künstliche Patina einer vorgeblichen Antiquiertheit auflegen, sondern im Gegenteil die Schutzschicht von den Erinnerungsstücken abkratzen, bis sie glänzen, als gäbe es nie die Trauer um ein schöneres Gestern, nur den Rausch eines unentwegten Heute. Vor solcher Wucht der Begeisterung für Wiederholungen muss jemand wie Bowie zwangsläufig Angst haben: Sie macht sein kalkuliertes Ausweichen vor dem Altern schlicht überflüssig. Bei Rouse heißt die Medizin „Come Back“, und wird als „Light Therapy“ verabreicht. HARALD FRICKE

David Bowie: „Reality“ (EMI)Josh Rouse: „1972“ (Rykodisc)