Willkommen in Fluenza

Die Grippesaison beginnt. Obwohl Krankenkassen mahnen, sind die Berliner „impfmüde“. Dabei ist mit der Influenza nicht zu spaßen – im letzten Winter starben bundesweit über 12.000 Menschen

von RUDI NOVOTNY
und DINAH STRATENWERTH

Nach Strand- und Fußball- startet jetzt die Grippesaison. Und prompt heben Krankenkassen und Politiker mahnend die Zeigefinger, so auch Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner. „Jeder, der kann, sollte sich impfen lassen“, warb sie gestern gemeinsam mit den Ersatzkassenverbänden für die Impfung. „Je mehr Menschen geimpft sind, desto weniger kann sich die Krankheit verbreiten. So baut sich eine Impf-Schutzmauer auf.“

Aber viele Berliner sind „impfmüde“. So nennt es Ursula Kobryn, Amtsärztin in Pankow. Der Impfschutz werde vernachlässigt, so Kobryn, wenn die Hausärzte nicht extra darauf hinweisen, dass Impfungen nötig sind. Dr. Johanna Ebert, niedergelassene Allgemeinmedizinerin in Zehlendorf, bestätigt diesen Eindruck. Auch sie muss Jahr für Jahr ihre Patienten an die Grippeimpfungen erinnern. Das hat sich auch durch die Aufklärungsversuche der letzten Jahre nicht geändert. Ebert empfiehlt aber nicht allen ihrer Patienten eine Impfung: Nur Alte, chronisch Kranke und solche, die viel mit Menschen arbeiten, sollten den Impfschutz in Anspruch nehmen. Zur letzten Gruppe gehören zum Beispiel Lehrer. Ebert beginnt in diesen Tagen mit dem Impfschutz, damit er bis zum Frühjahr hält.

Im letzten Winter gingen 5 Millionen Deutsche wegen einer Influenza zum Arzt. Für Udo Buchholz, Epidemiologe des Robert Koch Instituts und Mitglied der Arbeitsgruppe Influenza (AGI), ist das „eine sehr hohe Zahl. So hoch lag sie zuletzt in der Grippesaison 98/99. Im Durchschnitt sind es weniger als zwei Millionen Fälle.“ Auch heute noch kann Grippe eine lebensgefährliche Krankheit sein: 2002/2003 starben zwischen 12.000 und 20.000 Menschen an Influenza. Die Daten der AGI sind eine Hochrechnung. Sie basieren auf den Meldungen von 704 im ganzen Land verstreuten Arztpraxen.

Auf Berlin herunterrechnen will Buchholz die Daten nicht: „Für eine Aussage über die lokale Situation können wir eventuelle Schwankungen nicht genau genug erfassen.“ Der Osten Deutschlands sei allerdings „voll von der Welle im vergangenen Winter erfasst worden“, so der Epidemiologe.

Ihre Stärke hat Buchholz überrascht – eigentlich war der Haupterreger bekannt und auch schon davor unterwegs. Deshalb war man von einer höheren Immunität in der Bevölkerung ausgegangen.

Charakteristisch für das Influenzavirus ist die große Wandlungsfähigkeit. Ständig entstehen Arten, die das menschliche Immunsystem nicht erkennt. Um Epidemien mit neuen, nicht behandelbaren Mutationen vorzubeugen, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein globales Netzwerk von 110 nationalen Influenzazentren eingerichtet. In ihnen werden Daten über die in den jeweiligen Ländern zirkulierenden Viren gesammelt. Eine Expertenkommission wertet diese Informationen aus und gibt eine regionale Impfstoffempfehlung für den nächsten Winter heraus.

Allgemeinmedizinerin Ebert findet im Dienste des Robert Koch Institutes heraus, wer in ihrer Praxis Influenza hat und nicht nur eine „normale“ Grippe. Im vergangenen Jahr waren das 80 Patienten, was sehr viel ist. Für den kommenden Winter erwartet Ebert eher noch eine Steigerung, weil sie glaubt, dass es dieses Jahr noch kälter wird.

Aber nicht alle Mediziner sind vom Sinn der Grippeimpfung überzeugt. Mareen Muckenheim ist Leiterin der Chiron-Schule für klassische Homöopathie, und ihrer Meinung nach bringt Impfen gar nichts. Da die Grippeerreger unbekannt seien, könne es keinen passenden Impfstoff geben. Muckenheim setzt auf eine andere Art der Prävention: Dazu gehöre auch, dass Patienten sich früh genug entschließen, sich behandeln zu lassen. Der Grippewelle im letzten Jahr konnte sie gut mit verschiedenen homöopathischen Medikamenten begegnen, berichtet die Homöopathin.

Eine Haltung, die für Thomas Jelinek vom Institut für Tropenmedizin in Berlin absolut unverständlich ist: „Eine Grippeimpfung hat eine Erfolgsquote von 60 Prozent. Und die restlichen 40 Prozent weisen meistens nur abgeschwächte Symptome auf.“ Und nicht alles, was im Volksmund als Influenza angesehen würde, sei auch eine echte Influenza. „Da gibt es eine Menge Krankheiten mit ähnlichen Symptomen“, so Jelinek. Seiner Meinung nach lassen sich immer noch viel zu wenige Menschen impfen: „Wir wissen eben nicht mehr, wie gefährlich so eine Krankheit wie die Grippe sein kann.“ Nach Jelineks Diagnose sind Misstrauen gegenüber Gesundheitsbehörden und eine starke Impfgegner-Lobby dafür verantwortlich, dass die Deutschen im europäischen Vergleich eher Impfmuffel sind. Die Argumente der Impfgegner machen Jelinek wütend: „Wenn ich das Geld hätte, würde ich die alle mal nach Indien schicken. Dort würden sie Massen von Kindern sehen, die an solchen Krankheiten verrecken.“