Zwei Führer, ein Ziel

Bedrohungen des Weltfriedens wollen Kofi Annan und George Bush nicht mehr hinnehmen. Aber was daraus folgt, ist strittig

von DOMINIC JOHNSON

UN-Generalsekretär Kofi Annan und US-Präsident George Bush haben sich gestern als Rivalen um die Führung der Welt positioniert. Die Eröffnung der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York bot den beiden Weltpolitikern Anlass für einen Grundsatzstreit über den richtigen Umgang mit den globalen Herausforderungen der Zukunft.

Für Bush ist der Krieg gegen den Terror das Prisma, durch das er das Weltgeschehen wahrnimmt. Die Welt sei geteilt „zwischen denen, die Ordnung suchen, und denen, die Chaos verbreiten“, erklärte der US-Präsident. Für Annan hingegen sind die Probleme der Unterentwicklung die zentrale Herausforderung der Welt. Die Bedrohung der Menschheit durch Bürgerkriege, extreme Armut und Seuchenausbreitung sei genauso wichtig wie die durch Terrorismus und Massenvernichtungswaffen, sagte der UN-Generalsekretär. Die UNO müsse beiden Arten von Bedrohung begegnen können: „Eine Welt, in der viele Millionen Menschen brutale Unterdrückung und extremes Elend erleiden, kann nie sicher sein.“

Aus Sicht des UN-Generalsekretärs steht die Weltorganisation heute an einem „Scheideweg“. Wenn das mächtigste Land der Welt seine Probleme im Alleingang löst, statt sich der mächtigsten Weltorganisation anzuvertrauen, ist das aus seiner Sicht auch ein Problem der Weltorganisation. Bei aller Kritik am Vorgehen der USA im Irak mahnte Annan: „Das Anprangern des Unilateralismus allein erreicht nichts, solange wir uns nicht gleichzeitig um jene Probleme kümmern, denen sich einige Mitgliedstaaten besonders ausgesetzt fühlen.“

So waren sich Annan und Bush in einem Punkt einig: Beide Redner betonten, die UNO müsse in der Lage sein, Bedrohungen abzuwenden, bevor sie eintreten. Aber die Folgerungen daraus könnten unterschiedlicher kaum sein. Bush nutzte seinen Auftritt für eine scharf formulierte Rechtfertigung des Handelns der USA seit den Terroranschlägen des 11. September 2001, also der Kriege im Afghanistan und im Irak. „Es gibt keinen neutralen Boden“, drohte Bush. „Alle Regierungen, die Terrorismus unterstützen, sind Komplizen in einem Krieg gegen die Zivilisation.“ Kofi Annan hingegen will die UNO insgesamt in ein Instrument des präventiven Vorgehens gegen Bedrohungen des Weltfriedens verwandeln.

Annan kündigte eine grundsätzliche UN-Reform an. Die UNO müsse sich „mit den Kriterien beschäftigen, unter denen gewisse Aktionen autorisiert werden können, um gewissen Arten der Bedrohung zu begegnen, zum Beispiel mit Massenvernichtungswaffen ausgestattete Terroristen oder auch drohendem Völkermord“, sagte der UN-Generalsekretär. Noch 1994 hatte er als Leiter der UN-Abteilung für Friedenseinsätze einen präventiven Blauhelmeinsatz gegen die Vorbereiter des Völkermords in Ruanda abgelehnt. Jetzt sagte Annan: „Dieses Jahr war unsere Antwort auf Ereignisse dieser Art in der Demokratischen Republik Kongo und Liberia wieder einmal zögerlich und verspätet.“

Eine Kommission aus hochrangigen Persönlichkeiten soll nun Reformvorschläge für die UNO erarbeiten, kündigte der UN-Generalsekretär an. „Wir dürfen uns vor der Frage nicht drücken, ob die Regeln und Instrumente zu unserer Verfügung ausreichend und effektiv sind“, sagte Annan. Bush betonte seinerseits, die USA stünden hinter den Gründungsprinzipien der UNO: „Wir sind der Verteidigung kollektiver Sicherheit und der Menschenrechte verpflichtet.“

So wirkten die Auftritte auf der New Yorker Bühne wie eine Ouvertüre. Die wirkliche Debatte um die zukünftige Weltordnung beginnt erst.