Das Fest der Ordnung

Auf hohen Säulen thronen Produkte: Die Ausstellung „ulmer modelle – modelle nach ulm“ im Ulmer Stadthaus glorifiziert die Ulmer Hochschule für Gestaltung, die von 1953 bis 1968 existierte

von KNUTH HORNBOGEN

Ulm feiert Ulm. 50 Jahre ist es her, da begann am Ulmer Kuhberg der Unterricht. Und der Streit. Denn an der Hochschule für Gestaltung (HfG), die von Inge Scholl – deren Geschwister Hans und Sophie Scholl („Weiße Rose“) von den Nazis hingerichtet wurden – sowie Otl Aicher und Max Bill gegründet wurde, gehörten Richtungskämpfe zum Alltag. Das begann schon vor der Gründung. Damals feilte Hans Werner Richter (Gruppe 47) als Prominenter am Schulkonzept und hatte eine Ausbildungsstätte für politische Bildung im Blick. Nicht zuletzt der Promibonus überzeugte den amerikanischen Hochkommissar McCloy, finanzielle Mittel für das Projekt bereitzustellen. Später, nachdem Otl Aicher den Kontakt zu dem Schweizer Architekten, Designer und Künstler Max Bill aufgenommen hatte, mutierte dieses Konzept zu einer Reanimation des Bauhauses. Davon und von vielen anderen Ungereimtheiten schweigt die Ausstellung „ulmer modelle – modelle nach ulm“ im Stadthaus zu Ulm.

In „bislang so nie gezeigter Bandbreite“, so der Pressetext, soll die Schau die Arbeit der Studierenden und Dozenten der HfG dokumentieren. Hans Dieter Schaal, Gestalter der Ausstellung, eröffnet seine Didaktik, indem er den Fächerkanon der Ausbildung zum Ausgangspunkt macht. Im Erdgeschoss hat er eine Scheibe ausgelegt. Auf ihr sind die Lehrfächer Information, Film, Industrielles Bauen, Produktgestaltung und Visuelle Kommunikation notiert. Von hier spannen sich Verbindungsfäden durch das gesamte Gebäude: hin zur ersten Etage, wo die Grundlehre und ihr Wandel von der konkreten Kunst (Max Bill, Josef Albers oder Johannes Itten) zur visuellen Methodik (Thomás Maldonado oder Walter Zeischegg) gezeigt werden; hinüber zu den Räumen, die sich den „modellen nach ulm“ zuwenden, welche nach dem Exitus der HfG, 1968, zahlreich in aller Welt fortlebten und leben; bis hinauf ins Obergeschoss, wo jedem der 15 HfG-Jahre eine quadratische Säule gewidmet ist. Auf jeder thront ein Produkt, feierlich in einer kubischen Vitrine: ein lichtdurchflutetes Fest der Ordnung. Heroische Überhöhung. Hier bestaunen wir mit Andacht vor allem die Leistungen des Lehrgebiets Produktgestaltung: Das Hotel-Stapelgeschirr „TC 100“, das Hans (Nick) Roericht 1958/59 als Abschlussarbeit ablieferte, oder den „Schneewittchensarg“ von 1956, entworfen von Hans Gugelot und Dieter Rams, der den Weltruf des Radioherstellers Braun begründete. Wir sehen das Erscheinungsbild der Lufthansa (1962–1963, Otl Aicher) und halten vor der Vitrine von 1968 inne. Hierin ist ein Stapel der letzten Ausgabe der Zeitschrift ulm aufgebahrt, deren Titel tiefe Trauer intoniert: Er ist pechschwarz. Wie im Ausstellungskatalog wird hier beharrlich an der Legende weitergestrickt, das Ende der HfG sei allein eine Folge der Mittelkürzungen gewesen: eine unzulässige Verkürzung historischer Tatsachen.

Mit Lehrbeginn griffen Lernen und Arbeiten ineinander: Bill strebte Kunst als „höchste Ausdrucksstufe des Lebens“ an. Nicht nur das Schulgebäude, auch Möbel wurden entworfen, etwa der „Ulmer Hocker“ (1955). Womit Bill, gemeinsam mit Hans Gugelot, das passende Universalmöbel bereitstellte, um das asketische Treiben auf dem Kuhberg auszustatten. So formte er auch das tägliche Leben der insgesamt 640 Studenten. Sie kamen aus 49 Ländern nach Ulm, doch nur 215 von ihnen verließen die Stätte mit einem (staatlich nicht anerkannten) Diplom. Indes: Vom Leben auf dem Kuhberg erfahren wir in der keimfreien Leistungsschau im Ulmer Stadthaus nichts. Und nur wenig von der Abteilung Film, die ab 1962 von Alexander Kluge geleitet wurde, sich später aber von der HfG löste: nur ein paar Film-Miniaturen, die ohne Kommentar in einem dunklen Raum flimmern.

Über die Versuche, Design objektiv begründbar zu machen, gibt ein rechteckiger Bücherturm Auskunft. Jedem der vier großen Ulmer Theoretiker ist eine Seite zugedacht. Max Bense, dem es am Herzen lag, die Qualität von Information zu berechnen, Thomás Maldonado, der die Grundlagen liebte, Horst Rittel, der mit den Mitteln der reinen Mathematik versuchte, Objektivität ins Design zu tragen, und Abraham Mole, der seine Profession als Philosoph und Physiker zu diesem Zweck einsetzte. An diesem Turm wird gravitätisch die Wissenschaftseuphorie der 50er- und 60er-Jahre begrüßt – Neuralgisches sicher ignorierend.

Hier lernen wir auch, dass ein „Geltungsnutzen“ in Produkten wohnt, der freilich ein „falsches Bedürfnis“ beschreibt. Wozu Adorno, in der offiziellen Lehre in Ulm nicht existent, später in einem Vortrag anmerkte: „Die lebendigen Menschen […] haben ein Recht auf die Erfüllung ihrer sei’s auch falschen Bedürfnisse.“ Das aber ignorierten die Positivisten vom Kuhberg früher. Und heute die Ausstellungsmacher: In Ulm wird Ulm gefeiert.

„ulmer modelle – modelle nach ulm“, bis 30. November, Katalog (Hatje/Cantz) 28 €