netzgeschichten
: Unter lauter Kriminellen

Es gibt Vereine, die niemand kennen muss. Der Verein zum Beispiel, der für die Gema – was das genau ist, muss auch niemand wissen – und andere Verwertungsgesellschaften das Geld eintreibt, das ihnen aus Gründen zusteht, die bisher nur Fachleute genau kennen mussten. Das war alles gestern. Dieser Verein, der das Geld für andere Vereine eintreibt, will jetzt Hausbesuche bei „Firmen“ und „Privaten“ abstatten, um über die „neue Rechtslage“ aufzuklären. So hat es eine Nachrichtenagentur gemeldet, und seither warte ich auf einen Besuch des unbekannten Vereins. Ich erhoffe mir vor allem Aufklärung über seine Rechtslage, und falls sich herausstellen sollte, dass er überhaupt irgendetwas aufklären kann, hätte ich einige Beschwerden abzugeben.

 Bisher nämlich hatte ich angenommen, dass mein Privateigentum vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geschützt ist. In diesen Schutz eingeschlossen glaubte ich auch die Festplatte meines Computers. Und weil Eigentum in Deutschland verpflichtet, so habe ich es jedenfalls gelesen, war ich bereit, Teile meiner Festplatte anderen Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Um diesem staatstragenden Impuls nachzukommen, habe ich einige Programme installiert, die den Austausch von Dateien mit anderen Festplattenbesitzern möglich machen.

 Ich habe es wenigstens versucht, bin aber zunächst daran gescheitert, dass ich mich plötzlich unter lauter Kriminellen befand. „Kaza“ hat mir gleich einen Dialer verpasst, „Grockster“, „Morpheus“ und „Xolox“ haben meine Windows-Registry so umgeschrieben, dass mein privater PC nur noch gestartet werden konnte, wenn er sich bei einem halben Dutzend Spielkasinos im Web eingewählt hat. Wieder lernte ich Dinge kennen, die ich nie kennen lernen wollte. Unter anderem versteckte Regionen des Windows-Verzeichnisses. Nach mehreren Stunden habe ich es schließlich geschafft, meine Festplatte von den Einbrechern zu befreien. Dass ein Rechtsbruch vorliegt, scheint mir festzustehen, und ich möchte mich bei jenem Verein beschweren, der uns allen seine Hausbesuche angekündigt hat.

 Ich bezweile freilich schon vorab, dass er Abhilfe schaffen könnte. Der Verpflichtung meines Eigentums bin ich schließlich auch ohne ihn nachgekommen. Dass die meisten Programme zum Austausch von Festplatteninhalten heute kriminell sind, liegt ja nur daran, dass die amerikanische Musikindustrie sie seit Jahren als Kriminelle verfolgt. So was färbt auf die Dauer ab. Aber ein paar wenige haben dem Druck zur Selbstkriminalisierung bis heute widerstehen können. „Gnucleus“ für das „Gnutella“-Netz und „eMule“ für das „eDonkey“-Netz kann ich sogar für Windows empfehlen. Sie hinterlassen dort keinen sichtbaren Schaden.Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass sie beide zur Welt der „Open Source“ gehören. Einbrechertricks in der Registry oder noch unzugänglicheren Plätzen würden schnell aufgedeckt und einfach rausgeschmissen, nehme ich an. Jedenfalls lassen sich beide Programme starten, ohne dass ich von unerwünschter Werbung behelligt werde, und sie arbeiten zufriedenstellend im Sinne der grundgesetzlichen Sozialpflicht des Privateigentums.

 Trotzdem bin ich nicht sicher, ob ich sie jenem Verein vorführen werde, wenn er mir demnächst einen Hausbesuch abstattet. Zwar könnte ich mit ihnen beweisen, dass es möglich ist, Tauschbörsen ohne kriminelle Verletzungen der Privatsphäre zu betreiben, aber mir schwant, dass dieser Verein eine weitergehende Auffassung der Rechtslage hat. Man weiß ja nie. niklaus@taz.de