zwischen den rillen
: Das Weltgewissen des Pop: Sting kitscht wieder

Auf Teufel komm raus!

Zwei Schicksalsschläge sind Sting in den letzten Jahren widerfahren, die dem ehrgeizigen Briten zugesetzt haben und von denen er sich womöglich nicht mehr erholen wird. Zum einen der elfte September. Zum anderen der Umstand, dass ihm 1999 mit „Desert Rose“, seinem Duett mit dem Rai-Sänger Cheb Mami, noch einmal ein veritabler Hit auf den Dancefloors dieser Welt gelang. Der Terror und das globalisierte schnelle Geld: Das sind die Eckpfeiler des neuen Albums – die beiden Themen, an denen „Sacred Love“ naturgemäß scheitern musste.

Seit den Terroranschlägen gibt sich der ohnehin zu esoterischem Klugscheißertum neigende Superstar mit Weltgewissen noch staatstragender und konsensbemühter, noch vorsichtiger und nichts sagender. Gepredigt wird Love and Understanding, sodass die allheilende Universalmetapher nicht nur zur kitschigen Leerformel verkümmert, sondern sich darüber hinaus ein Ex-negativo-Effekt einstellt, wie man ihn sonst nur von Hochzeiten kennt: Dort wird ja auch das Eine, Ewigliche derart inbrünstig gepriesen, dass es irgendwann nur noch auf das noch größere Andere verweist – das unmögliche Blaue vom Himmel auf die sehr viel wahrscheinlichere Versuchung auf Erden. Nicht von ungefähr beschwerte sich Sting in den frühen Achtzigern darüber, wie naiv-sentimental beispielsweise sein bester Song, die sinistre Stalker-Hymne „Every breath you take“, immer nur als Liebeslied rezipiert worden wäre, das, um den etwas weit gespannten Bogen gerade eben noch zu schließen, sogar auf Hochzeiten gespielt würde!

Allerdings tat er selbst mit immer seichteren Interpretationen das Seinige, um dieses erfolgreiche Missverständnis am Leben zu halten – so, als müsse er für den Rest seiner Karriere den künstlerischen Preis für seinen einstigen Mephistophelismus bezahlen und fortan mit Hotelbar-Piano-Arrangements der einstigen Hits Buße tun: zuletzt auf dem Live-Album „All this time“, am 11. 9. 2001 aufgenommen, das Sting endgültig auf dem Tiefpunkt zeigte.

Und dennoch hatte er kurz zuvor mit besagtem „Desert Rose“ einen letzten großen Hit, der die marode Plattenindustrie noch einmal Morgenluft wittern ließ. Die Kuh melken, solange sie noch auf dem Eis ist! Sting wurde zum letzten Mann in der Champions League auf Viva und muss nun auf Teufel komm raus (siehe oben) noch mal einen nachlegen. So ist auch die aktuelle Single arabisch-orientalisch angehaucht, „Send your love into the future“, und wird auf dem neuen Album sicherheitshalber auch gleich noch mal als Remix-Stampfer mit unsäglichem Bums-Beat veröffentlicht, ebenso wie die Bonus-Live-Version von „Shape of my heart“, einem der meistgesampelten Songs im heutigen R ’n’ B („Hey, Kids, das ist auch von mir!“).

Auch auf den anderen Songs zitiert Sting sich selbst mit Zeilen aus „Walking in your footsteps“ oder „We’ll be together“. Im Übrigen handeln sie (außer von Liebe und Tod) vor allem davon, dass ihm einfach kein vernünftiger Refrain mehr einfällt: Die dynamischeren Arrangements sind rockig im Sinne von Audi-Werbespot-Musik. Und die Balladen singt Sting so falsch angejazzt und frauenverstehermäßig, wie das sonst nur noch Chris de Burgh hinbekommt (das Duett mit Mary J. Blige möchte man am liebsten unerwähnt lassen). Insgesamt fühlt man sich nach dem Hören von „Sacred Love“ so leer und müde, als hätte man gerade in einer H-M-Kabine eine Stunde lang schlecht sitzende Hosen anprobiert.

Gerade mal drei Tracks hätten großzügig gerechnet noch das Zeug zu Füllsongs auf einem Album von The Police gehabt. Aber dazu hätte es der kongenialen Mitstreiter von einst bedurft – der kühlen Gitarre von Andy Summers und der treibend-genialen Schlagzeugvariationen von Stewart Copeland, mit dem sich Sting damals nach Konzerten immer wegen des richtigen Tempos in der Umkleide geprügelt hatte („Sting thought everything was too fast“). Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Man hat sich damals, konsequent auf dem Höhepunkt des Erfolgs, voneinander im Streit getrennt.

Geblieben ist davon zwanzig Jahre später ein Coverfoto, auf dem Sting gern die arrogante Aura des Pop-Leistungssportlers von einst mit dem netten verständnisvollen Lächeln von heute verbinden würde. Das Ergebnis ist eine seltsam starre Fratze, mit Blick in die Zukunft.

Und wie könnte die aussehen? Erst mal mit der heiligen Liebe auf dem Ramschtisch bei WOM und Saturn landen, dann Insolvenz anmelden, dann den Aufsichtsrat (den unsäglichen Coproducer Kipper!) feuern, die Konzerte als Nachtarbeit steuerlich geltend machen und sich aufs Kerngeschäft konzentrieren: ein bisschen polizeilich verbeamteten Rock und danach zum Abhängen in den Jazzclub – mit David Bowie und all den anderen falschen Fünfzigern dieser Tage. ANDREAS MERKEL

Sting: „Sacred Love“ (A&M/Polydor)