Die Welt als Bild und Vorstellung

Nichts für die gute Stube: Jens Lorenzen hat ein „Bild von BILD“ gemalt – und so die Zerrissenheit hinter der polierten Fassade des Logos enthüllt

Wie allgemein bekannt, offenbart die Wirklichkeit ihre verborgenen Seiten oft erst durch die Kunst. Erst die ungewohnte, oft schräge oder ironische Sichtweise führt zum Kern des Pudels, erst der Blick des anderen trägt zur kritischen Selbsterkenntnis bei, zum ,,täglichen Feldzug gegen dich selbst“ (Friedrich Nietzsche).

Was kann nun ein Bild der Bild-Zeitung offenbaren? Warum erhebt ein Maler ein Blatt mit der Lebenserwartung von 24 Stunden zur „Muse“ – wohl wissend, dass Kunst „adelt“, dass Kaiser, Päpste, Diktatoren ihre Hofmaler beziehungsweise Hofdichter, -musiker, -bildhauer & Co. stets bestens dotieren, um sich mit Hilfe der Kunst ihren Platz in der Geschichte, der Ewigkeit zu sichern?

Nun, Jens Lorenzen hat ein Bild von Bild gemalt. Er zeigt, wie die Zeitung auf ihre Leser wirkt – indem er das glatte, klare Logo verfremdet, es in Bruchstücke, in Splitter reißt – und so die Zerrissenheit hinter der glatt polierten Fassade aufdeckt, entblößt. Vereint sind der Schmutz der Straße und die Reinheit der Farbe. Die Welt als „Bild und Vorstellung“, die Bild als „Vorstellung von der Welt“. (Allein das Format ist eine Herausforderung. An ein Quadrat wagten sich außer Malewitsch, Yves Klein, Andy Warhol kaum andere.)

Das „Bild der BILD“ hilft, die Zeitung einmal anders zu sehen, jenseits der Vorurteile. Bild war ja von Anfang an anders. Sie ist unkonventionell, hat einen anderen Akzent und Duktus als sonstige Blätter (so wie die taz).

Aber Anderssein ist auch eine Steilvorlage für Klischees.

Die Risse – man kann sie als Gipfel und Täler, Fallen und Irrwege sehen. Bild-Texte sind keine glatten, geraden Bahnen ins Ziel, sie polarisieren (ebenso wie die taz-Texte). Wohlgemerkt: Nur wer polarisiert, schafft Raum für Kreativität.

Die Risse – es sind auch Wunden. Vom Kampf. Denn wer polarisiert, muss einstecken können: unqualifizierte Attacken, Häme und Ironie statt Sachkritik. Die Kunst dabei ist, kein allzu dickes Fell anzulegen, sondern die (tägliche!) Sensibilität fürs Wesentliche zu bewahren.

Mann kann die „Risse“ aber auch als Falten sehen. Altersfalten. Zu denen Bild steht (wie eben die taz auch). Kein Lifting, ganz im Gegenteil. Aus Erfahrungen gelernt, in Würde gealtert, den Jugendwahn ironisierend.

Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild … Bild bildet ab, bebildert, fördert Einbildung, kann mit minimalen Mitteln maximale Wirkung erzielen. Vier Buchstaben prägen das Bild der Realität (manchmal ist aber weniger auch schon genug … drei Buchstaben zum Beispiel).

Schließlich: Das Lorenzen-Bild ist nichts für die gute Stube. Aber es ist stark und deutlich, beständig und beharrlich, mit klarer Aussage.

Bleibt nur die Frage: Wer malt die taz?

Ob die Bild den Maler stiftet? Als Geburtstagsgeschenk?

Vielleicht müsste man gar nicht lange suchen … nur die Buchstaben austauschen.

DANA HORÁKOVA

Dana Horákova ist Kultursenatorin in Hamburg