Wale im Wind

Wissenschaftler untersuchen Ökosysteme in Nord- und Ostsee. Streit zwischen Walschützern und Windbranche könnte das Ergebnis sein

Der Streit zwischen den beiden Öko-Fraktionen ist bereits entbrannt

von SVEN-MICHAEL VEIT

„Das wird ein Quantensprung im Wissen um die Meeresumwelt“, schwärmt Hendrik Brunckhorst. „Hochzufrieden“ ist der Biologe vom Nationalparkamt Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer im nordfriesischen Tönning mit den ersten Ergebnissen von Minos: „Wir wissen jetzt, wo die ökologisch besonders empfindlichen Gebiete liegen.“ Erkenntnisse, die negative Folgen haben können für einen als ökologisch sinnvoll geltenden Wirtschaftszweig: Die Stromerzeugung durch Windparks im Meer.

Zwei Tage lang haben die WissenschaftlerInnen des vom Bundesumweltministerium geförderten Projekts „Marine Warmblüter in Nord- und Ostsee“ auf einem Symposium im Forschungs- und Technologiezentrum (FTZ) Büsum (Kreis Dithmarschen) ihre Ergebnisse vorgestellt und debattiert. Die Verbreitung der Schweinswale, der einzigen vor deutschen Küsten heimischen Walart, haben sie seit dem Start von Minos im März vorigen Jahres erstmals wissenschaftlich ebenso untersucht wie die Wanderungen von Seehunden und Robben oder die Brutvogelpopulationen. Und klar geworden ist dabei vor allem, dass die ökologischen Zusammenhänge viel komplexer sind als bisher gedacht.

Die Bekanntgabe präziser Zahlen und Daten scheuen die Fachleute der Universitäten Kiel, Stralsund und Bochum, des Nationalparkamts, des FTZ oder der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg zwar noch. Manches sei „noch nicht endgültig ausgewertet“, bittet Brunckhorst um Verständnis, der Abschlussbericht werde im Frühjahr vorliegen.

Gesichert hingegen ist bereits, dass Seehunde und Schweinswale deutlich größere Reviere haben als vermutet. Bis zu 60 Kilometer westlich der Nordfriesischen Inseln, Hauptverbreitungsgebiet und Kinderstube der Kleinen Tümmler, tummeln sich die nächsten Verwandten der Delphine. Fast ebenso weit schwimmen die Seehunde auf Nahrungssuche hinaus.

Nur 30 Kilometer vor Sylt jedoch liegt Butendiek, neben Borkum-Riff vor Ostfriesland der zweite bereits genehmigte Offshore-Windpark in der Nordsee. Das 200 Millionen Euro teure Großprojekt mit seinen 80 Rotoren hat viele Kritiker auf den Plan gerufen. Urlaubszentren befürchten eine „Horizontverschmutzung“, Fischer sorgen sich um ihre Fanggründe, erste Klagen sind bereits vor Gerichten anhängig.

Minos soll unter anderem Grundlagen zur ökologischen Bewertung solcher Anlagen liefern. Butendiek liegt knapp außerhalb der Grenzen des Nationalparks Wattenmeer, möglicherweise aber mitten im Lebensraum der in ihrem Bestand bedrohten Schweinswale. Neue Konflikte drohen, sollte sich herausstellen, dass eine umweltfreundliche Form der Energieerzeugung mit dem Tierschutz kollidiert. Innerhalb von Naturschutzverbänden streiten sich die Fraktionen bereits, und nicht nur hinter verschlossenen Türen. Wie die Auseinandersetzung zwischen den ökologischen Fronten ausgehen wird, ist noch offen; aber Minos, das ist sicher, wird den Ausgang beeinflussen.

Kein Wunder, dass die WissenschaftlerInnen erst mit den unbezweifelbaren Zahlen, Daten und Fakten in die Öffentlichkeit gehen wollen. Wenn sie es in einem halben Jahr tun, könnte ein ganz neuer Wind an der Küste wehen.