Der Freihandel spaltet Amerika

Brasilien wehrt sich gegen den Plan Washingtons, die Agenda der gescheiterten Welthandelskonferenz in Cancún nun auf dem eigenen Kontinent durchzusetzen. Die USA versuchen dabei, einen Keil zwischen die lateinamerikanischen Staaten zu treiben

aus Porto Allegre GERHARD DILGER

So undiplomatisch ist Brasiliens Außenminister selten: „Sehr bedauerlich“, ja „destruktiv“ seien die „Drohungen“ der US-Regierung „auf allen Ebenen“, findet Celso Amorim. Bei der WTO-Konferenz im mexikanischen Cancún hatte er die Gruppe der „G-20-Plus“ angeführt, jene rebellischen Schwellen- und Entwicklungsländer, die auf Konzessionen des Nordens in der Agrarpolitik bestanden hatten. Brasília sei für das „Fiasko“ von Cancún verantwortlich, heißt es seither aus Washington.

Nun schlägt die Regierung Bush zurück. Schritt für Schritt zieht sie die Länder Lateinamerikas auf ihre Seite: Als Erstes hat Kolumbien die G-20-Plus verlassen, was angesichts der innigen Beziehungen zwischen den Präsidenten George W. Bush und Álvaro Uribe kaum verwundert. Letzte Woche folgte ein ganzer Pulk von Ländern. Bei den Verhandlungen über die Freihandelszone von Alaska bis Feuerland (FTAA) in Trinidad zogen die USA den Großteil der beteiligten Delegationen auf ihre Seite. Dabei sind auch Brasiliens Mercosur-Partner Paraguay und Uruguay. Nur Argentinien, Venezuela und die Staaten der englischsprachigen Karibik hielten zu Brasilien.

Im Rahmen einer „ehrgeizigen“ Freihandelszone wollen die USA ab 2005 das durchsetzen, was ihnen in Cancún misslungen ist: den ungehinderten Zugang ihrer Konzerne zu Geschäften im Dienstleistungsbereich und bei lukrativen Regierungsaufträgen. Die Themenkomplexe „intellektuelles Eigentum“ und Investionsschutz, die den nordamerikanischen Firmen am Herzen liegen, sollen ebenfalls im Rahmen der FTAA geregelt werden.

Anders der Abbau der Agrarsubventionen und die Anti-Dumping-Gesetze, mit denen lateinamerikanischen Produkte vom US-Markt ferngehalten werden: Dafür, so Washington, sei die Welthandelsorganisation zuständig – jene Instanz also, in der die Industrieländer unverhohlen auf Protektionismus setzen. „Wir sind nicht bereit, einseitig abzurüsten“, bekräftigte der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick in Trinidad immer wieder.

Brasiliens Prioritäten sind genau umgekehrt, und wie in Cancún möchte die Regierung mögliche Zugeständnisse an Fortschritte im Agrarhandel koppeln. Kein Wunder also, dass für die FTAA-Ministerrunde, die Ende November in Miami stattfindet, bislang kein gemeinsamer Erklärungsentwurf vorliegt. „Die Stunde der Wahrheit“ sieht Brasílias Unterhändler Adhemar Bahadian gekommen. Erstmals hätte die Delegationen ihre Schwierigkeiten mit der „ehrgeizigen Agenda“ Washingtons auf den Tisch gelegt, vor denen Brasilien seit Jahresbeginn gewarnt habe. Schlichtweg „unpraktikabel“ sei auch der Anfangstermin 2005, fügte sein venezolanischer Kollege Víctor Álvarez hinzu.

Für eine „FTAA ohne Zwangsjacke“ macht sich Außenminister Amorim stark. Jedem Land stehe es frei, seine Märkte umfassend zu liberalisieren, keines dürfe jedoch dazu gezwungen werden. Mit einer solchen „FTAA light“ möchte sich die Regierung Bush jedoch noch nicht abfinden.