Die Herbstoffensive der Kulturschaffenden

Kommunikativer Overkill

Als flankierende Maßnahme zum Profiling der Arbeitsämter haben die kommunalen Institutionen in den vergangenen Wochen eine geballte Diskursladung öffentlich zur Verfügung gestellt. Da war erst einmal das Internationale Literaturfest – mit 130 Autoren in 350 Veranstaltungen, verteilt auf 60 Topadressen. Der Länderschwerpunkt hieß „Griechenland“, weswegen die griechischen Restaurantbesitzer der Stadt mit einem gewissen Spin-off-Effekt rechnen durften, wie ihr Verbandssprecher Sokrates meinte.

Des Weiteren fanden gerade eben die „Asien-Pazifik-Wochen“ statt, anlässlich deren Siemens, DaimlerChrysler und die Windhorst AG ein ganzes Schock chinesischer Manager nach Berlin geladen haben. Für den gemeinen Interessierten, aber auch für den Amüsierpöbel stand jedoch „Indien im Mittelpunkt“, worüber sich die Aktivisten der Mahatma-Gandhi-Schule in Marzahn ganz besonders freuten. Den größten Werberummel entfachten die Veranstalter des Mammutprogramms „Stadt der 1.000 Fragen – Berlin denkt über Bioethik nach“. Neben Workshops und Vorträgen boten sie jede Menge Filme, Theatervorführungen und Lesungen an – sowie eine „Lange Nacht der 1.000 Fragen“. Gleich danach ging es dann weiter mit dem Event-Klopper „Berlin–Moskau“; noch bis zum 5. Januar.

Es ist hier nicht der Raum, dieses ganze herbstliche „Fun-Stahlbad“ der Frontstadt en detail zu rezensieren. Damit werden bereits die mehr als 4.000 akkreditierten Hauptstadtjournalisten auf Trab gehalten. „Für Adorno war Unterhaltung die Hölle der modernen Kultur“, schreibt Norbert Bolz anlässlich des gerade stattfindenden Adorno-Rummels mit dem Schwerpunkt Frankfurt. Von Berlin aus stellte sich dabei dem Autor jedoch die Frage: „Gibt es nicht doch ein intelligentes Lachen!“

Aus Konsumentensicht kann man da durchaus fündig werden. Gerade die bildenden Künstler Berlins arbeiten ja schon seit Jahren am Witz ihrer Objekte. Erwähnt seien Endart, Kapielski und in toto das Programm des Künstlerhauses Bethanien. Aus Produzentensicht ist der Unterhaltungsdrive der modernen Kultur jedoch ein Elend, weil sich dabei die Aufmerksamkeit vom Aufklärungspol zum Lacher pro Minute verschiebt. Den aktiv Beteiligten gerät dabei die Intensität zur Intention: Hat man einmal ein „Zentrum“ besetzt und dafür mühsam Fördergelder angeleiert, muss man fortan bis in alle Ewigkeit Veranstaltungen dort organisieren. Irgendwelche Iditoten vom Flughafen abholen, mit eitlen Arschlöchern Latte Macchiato oder Schlimmeres trinken, sich nach ihrem werten Befinden erkundigen …

Der Neuköllner Künstler Kapielski meint, in Berlin wären in der Vergangenheit vor allem solche Leute heimisch geworden, die im Rechnen eine Fünf und im Malen eine Eins hatten. Das macht es diesen Leuten als Veranstalter besonders schwer. Die Liste der hierbei alternativ Gescheiterten ist lang. Inzwischen gibt es jedoch in Berlin einen ganzen Pool von solchen aus Erfahrungen gewitzt gewordenen Leuten, die man im Krisenfall heranziehen kann. Dafür gibt es auch einen LKZ (Lohnkostenzuschuss). Man muss jetzt also nicht mehr zur Unterstützung zu allen Veranstaltungen hinpilgern.

Zum Beispiel kann man den Film „Offspring – wird Stevens seinen wirklichen Vater am Ende finden?“ ruhig auslassen. Auch die sich daran anschließende Diskussion über „Identität: Sind wir das Ergebnis kultureller Prägung oder Produkt unserer Gene?“ Übrigens sitzen die Geschäftsführer dieser „Stadt der 1.000 Fragen“-Mammutveranstaltung in Bonn, hier „vor Ort“ sind diverse „Kommunikationsagenturen“ für sie aktiv: Pools mit jungen Profis, die sich vorher genau ausgerechnet haben, dass man jetzt nach Berlin ziehen muss – weil die Stadt „sexy, dynamisch und kreativ“ ist.

Zwar ist die BMW-Dichte noch nicht besorgniserregend, aber der Zuzug immer neuer Wellen von Kommunikatoren ist unaufhaltsam, zumal sich unter der Hand auch so scheinbar solide Institutionen wie die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie auch amnesty international, das Goethe-Institut und die Bundeszentrale für politische Bildung nach Mitte gewendet – und dort zu „Kommunikationsagenturen“ gewandelt haben.

Ihr Stichwort heißt: Vernetzung. So präsentiert die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin den Film „Lieder von der Steppe“ – über das Musikfestival „Roaring Hoofs“ in der südlichen Gobi – ausdrücklich „im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen“. Deswegen muss man dort wahrscheinlich auch nicht antanzen – es liegt etwas außerhalb: in Steglitz. Und wegen der Bezirksreform ist Steglitz jetzt so groß geworden, dass es sich dabei durchaus auch um Lankwitz handeln könnte. Egal, es geht dabei jedenfalls durchgehend darum, dass man nicht mehr einfach miteinander reden darf – man muss kommunizieren! HELMUT HÖGE