„Wegwerfen ist im Prinzip lustvoll“

Der Chemiker und Verfahrenstechniker Professor Michael Braungart über falschen Umweltschutz, schlechtes Recycling und darüber, wie ein Auto aussehen müsste, das Feuchtgebiete hinterlässt und dessen Abgase als Nährstoffe genutzt werden

Interview MATTHIAS ANDREAE

taz: Sie sagen, es sei falsch, die Umweltverschmutzung zu begrenzen. Warum?

Michael Braungart: Wir bezeichnen es als Umweltschutz, wenn wir etwas weniger zerstören. Wäre es denn Kinderschutz, seinen Nachwuchs etwas weniger zu schlagen? Ein echter Umweltschutz ist etwas anderes: Er unterstützt die Natur.

Sollen wir die natürlichen Ressourcen verschwenden?

Die Natur ist selbst verschwenderisch. Wenn Sie sich einen Kirschbaum im Frühling ansehen: Was für eine Verschwendung an Energie und an Rohstoffen. Aber die Natur ist damit hoch effektiv. Alles, was der Kirschbaum einsetzt, dient wieder anderem Leben. Wir sollten genauso prassen – ich nenne das intelligente Verschwendung. Dann gibt es keine Abfälle, nur noch Nährstoffe.

Mein Müll macht keinen sehr nahrhaften Eindruck.

Wir haben eine Eiscreme-Verpackung entwickelt, die bei Raumtemperatur flüssig ist. Sie baut sich innerhalb von Stunden ab und enthält Samen von lokalen gefährdeten Pflanzen. So sind wir, wie ein Vogel, nützlich für die anderen Lebewesen. Durch Wegwerfen erhöhen wir die Artenvielfalt. Das Wegwerfen ist im Prinzip ein lustvoller Vorgang. Und nicht der, der die Cola-Dose wegwirft, hat ein Problem, sondern der, der sie gestaltet.

Das klingt, als hätten Sie für Recycling nicht sehr viel übrig.

Im Augenblick werden Dinge, die nicht für Recycling vorgesehen sind, recycelt. Das führt zu besonders schädlichen Produkten, denn beim Recycling wird das Material mit Schadstoffen von Nebenprodukten verunreinigt. Tatsächlich werden die Produkte nicht recycelt, sondern downgecycelt: Die Qualität der nächsten Nutzung ist viel geringer. Wir sollten aber in technischen und biologischen Kreisläufen produzieren. Es sollte nur noch zwei Arten von Produkten geben, nämlich Verbrauchsgüter, die wir bedenkenlos wegwerfen können, da sie biologisch abbaubar sind, und Gebrauchsgüter, die sich ohne Qualitätsverlust endlos wiederverwerten lassen.

Ist das nicht etwas utopisch?

Wieso denn? Alle anderen Lebewesen produzieren keinen Müll. Die Biomasse der Ameise ist viermal größer als die der Menschen. Trotzdem sind die Ameisen kein ökologisches Problem, weil sie immer wieder Materialien in Kreisläufe zurückgeben. Die Vertreter der Öko-Effizienz wollen ihren biologischen Fußabdruck minimieren. Das Ziel muss aber ein großer Fußabdruck sein. Solange der ein Feuchtgebiet ist, von dem andere Lebewesen profitieren.

Wie muss ein Auto aussehen, das Feuchtgebiete hinterlässt?

Momentan sind Autos schädlich und verdrängen alle anderen Lebewesen vom Planeten. Aber ein Auto könnte sein wie der Büffel für den Indianer: Seine Stoffwechselprodukte nutzen dem anderen. Die Stickoxide, die dieses Auto produziert, werden nicht länger durch einen Katalysator zerstört, sondern als Nährstoff genutzt. Dieses Auto hätte auch eine definierte Nutzungszeit: Nach fünf Jahren geht es an den Produzenten zurück. Alle Komponenten sind geklebt. Es kommt in ein Tauchbad, die Klebstoffe werden von Enzymen aufgelöst, die Komponenten abfiltriert und erneut verwendet. Die enthaltenen fünf Plastiksorten verwendet man für neue Materialien gleicher Qualität.

Auch solche Autos würden unsere Städte verstopfen.

Nein, denn der Kunde kauft 100.000 Kilometer Autofahren. Darin sind Versicherung, Benzin und Wartung enthalten. Wenn man nur noch für den Kilometer Autofahrt bezahlt, lohnt es sich, auf Bahn oder Bus umzusteigen. So würde das Auto das Nischenprodukt für alle anderen Verkehrsmittel.