„Eine gemäßigte Scharia ist um vieles besser“

Die Bundestagsabgeordnete Christa Nickels hofft, durch die neue afghanische Verfassung werde das Stammesrecht abgelöst

taz: Frau Nickels, Deutschland bildet in Afghanistan Polizisten aus. Wie passt das zu Berichten von amnesty, nach denen Frauen, die der Polizei wegen „Ehebruchs“ übergeben werden, dort erst einmal vergewaltigt werden?

Christa Nickels: Die ersten Kurse an der Polizeiakademie sind gerade erst zu Ende. Dort werden auch Frauen ausgebildet, und Geschlechterprobleme sind in die Curricula integriert. Was amnesty berichtet, spiegelt, was bisher gang und gäbe ist. Die neue Ausbildung kann erst mittelfristig wirken.

Amnesty beschreibt, dass afghanische Frauen sich nicht an die Justiz wenden – auch weil sie dort kein Recht finden. Was tut man da?

Man unterstützt etwa das Afghan Women Network, in dem 20 Organisationen über Frauenrechte aufklären, auch auf dem Land. Dann sitzen viele Frauen im Gefängnis, weil sie angeblich die Familienehre verletzt haben, weil sie etwa vor einer Zwangsheirat wegliefen. Wir haben ein Anwältinnenprojekt unterstützt, damit sie juristischen Beistand haben. Fast alle Frauen, die wir im Januar besucht haben, sind inzwischen frei. Es werden natürlich neue inhaftiert. Aber an den Anwältinnen kommt man zumindest in Kabul nicht mehr vorbei.

Dass Ehemänner ihre Frauen prügeln, scheint laut amnesty ein flächendeckendes Phänomen zu sein. Gibt es Frauenhäuser, in die man in so einem Fall ziehen könnte?

Unser Auswärtiges Amt wollte ein Frauenhaus in Kabul einrichten. Doch das hat nicht geklappt: Der Widerstand war zu groß. Noch nicht mal in Kabul konnte die Polizei die Sicherheit des Hauses und der Frauen gewährleisten. Sie fürchten die Rache der Familien.

Setzen Sie Hoffnung in die neue Verfassung?

Im Verfassungsentwurf soll es heißen: Vor dem Gesetz sind Frauen und Männer gleich. Gleichzeitig soll die Verfassung nicht im Widerspruch zu islamischem Recht stehen. Das kann unter Umständen sogar eine Chance sein: denn eine gemäßigte Scharia ist um vieles besser, als das jetzt praktizierte Stammesrecht mit seiner eklatanten Benachteiligung der Frauen.

Die UNO müsste ja eigentlich ein Schrittmacher für die Frauenrechte sein. Wie ist Ihr Eindruck?

Man hat das Gefühl, dass die UNO die Rechte der Frauen als weiche Themen behandelt, die nachrangig sind. Das ist schlecht, weil man die Frauenrechte jetzt in die Nachkriegsordnung einbauen muss – wozu das Land sich ja per Konvention auch verpflichtet hat.

Die USA haben die Frauenrechte zeitweise wie einen Nebenkriegsgrund gehandelt. Die müssten jetzt also auch sehr für Frauenrechte engagiert sein. Ist das so?

Das habe ich bei unserem Besuch in der US-Botschaft im Januar zumindest nicht so erlebt. Zu meinem Erstaunen hatte ja sogar die First Lady Laura Bush eine ergreifende Rede für die Befreiung der afghanischen Frauen gehalten. Aber in der Botschaft hieß es immer, dass andere Probleme Vorrang hätten.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH