Den Frieden schüren

Der Krieg und Medien VI: Wer für den Frieden wirken will, muss auch mal Grundsätze wie Aktualität, Negativität und Objektivität fahren lassen, meint Nadine Bilke in ihrem Buch „Friedensjournalismus“

Wer im guten Glauben für den Frieden handelt, kann Gewalt auch steigern

von JÜRGEN KIONTKE

Das Töten hatte noch nicht angefangen, da lief der Krieg schon – in den Medien. Inwiefern Fernsehen, Radio und Presse in Krisen und Konflikte eingebunden sind, ist hierzulande des Öfteren Gegenstand der Diskussion gewesen; zumal Deutschland seit 1990 wieder im internationalen Handwerk mitmischt.

Schon anhand des Kosovokrieges konnte man schnell nachvollziehen, dass die Vertreter der so genannten unabhängigen Medien erschreckend schnell wissen, wo sie stehen („Sie treiben sie ins KZ“, Springers Berliner Boulevardblatt B. Z. über die serbischen Sicherheitskräfte und ihr Verhältnis zur albanischen Bevölkerung; „Kann man Milosevic nicht ermorden?“, fragte eine TV-Nachrichtenmoderatorin).

Am augenfälligsten ist aber wohl die Eins-zu-eins-Übernahme militärischer Logik in die Berichterstattung – „unabhängig“ ist das ganz schnell nicht mehr, wenn es um Dienstränge, Truppen und Panzertypen geht. Ist der Krieg dann irgendwann vorbei, gehen die Selbstkritikrunden los: Medien schlachten in kriegslosen Zeiten aus, was sie in kriegerischen Zeiten verbrochen haben. – So kommen wir nicht weiter, meint die Autorin Nadine Bilke, freie Mitarbeiterin bei den ZDF-Internetnachrichten. „Friedensjournalismus“ heißt ihr Buch passend zum nächsten Wettschießen. „Die enge Verbindung von Journalismus und Krieg“, so Bilke, „ist vielfach beschrieben worden und wird häufig thematisiert. Unter welchen Bedingungen aber kann Journalismus für den Frieden wirken?“

Eine friedensorientierte Berichterstattung verlange eine Fokussierung auf Konfliktanalyse, Streben nach Wahrhaftigkeit. „Journalisten müssen sich stets bewusst sein, an welchen Zielen sie ihr Handeln ausrichten. Althergebrachte Grundprinzipien journalistischer Arbeit wie Aktualität, Objektivität und Negativität treten in den Hintergrund.“

Anschließend folgt eine Tour de Force durch die Klärung der grundlegenden Begriffe (Krieg, Konflikt, Gewalt, Frieden), die Analyse von Ursachen der Gewalt, die Friedenswissenschaft, die Konfliktkultur bis hin zur Kritik des journalistischen Handelns. Fazit: „Ohne mündige Vermittler und ohne die nötige Selbstreflexion (…) kann eine demokratische Öffentlichkeit nicht funktionieren.“

Wie sich Journalismus konfliktlösend in einer gewalttätigen Umgebung auswirken kann, zeigt Bilke mit dem Beispiel der Arbeit eines Radios im bürgerkriegsgeschüttelten Liberia, dem „Talking Drum Studio“, dessen Programm und Betriebsstruktur sie eingehend untersucht. Die Journalisten dieses Non-Government-Senders kämpfen für Pressefreiheit, setzen Versöhnung statt Dissens auf den Plan, bieten den Menschenrechten eine Plattform und sind auch außerhalb des Sendebetriebs friedenspolitisch aktiv. Gegenbeispiel: das ruandische „Hassradio“ Mille Collines. Im eskalierenden Konflikt zwischen Hutu und Tutsi hätten die Redakteure dort offen zum Massenmord aufgerufen.

Bilke ist bewusst, dass die Fronten nicht immer so gradlinig verlaufen. „Wer im guten Glauben für den Frieden handelt, kann am Ende das Gewaltniveau steigern.“ So könne auch ein Konzept für Friedensjournalismus keine klaren Lösungen, Strategien und Visionen anbieten, „die am konkreten Fall diskutiert, erprobt und vielleicht wieder verworfen werden müssen“.

Bilkes Buch ist eine willkommene Anregung – leider kommt es zu unaufgeregt daher. Denn will man in Deutschland „Anregungen“ für einen Journalismus finden, der den Frieden fördern soll, kommt man wohl kaum um die Analyse des gegenwärtigen Kriegstreiberjournalismus und seiner multimedialen Ausdrucksformen herum.

Dass dabei allerdings althergebrachte journalistische Grundprinzipien fast nichts mehr verloren hätten, ist in Zweifel zu stellen. Denn „Frieden“ steht heute bekanntlich für „Krieg“. Jugoslawien wurde nie der Krieg erklärt, und was sind heute Kampfeinsätze anderes als friedenssichernde Maßnahmen, wenn man den eins zu eins in die Medien übernommenen offiziellen Verlautbarungen glaubt?

Aber ohne die Grundtugenden Recherche und Akribie wäre es wohl kaum zur Enthüllung der Lügen um den vermeintlichen „Hufeisenplan“ durch den WDR gekommen. War das jetzt nicht auch ein konkretes Stück Friedensjournalismus, wenn auch kein friedliebendes?

Journalismus, der Frieden schürt, würde also hier bedeuten: weniger Nachgeplapper offizieller Statements, dafür mehr journalistische Aggressivität.

Nadine Bilke: „Friedensjournalismus. Wie Medien deeskalierend berichten können“. Agenda-Verlag Münster, 15,90 Euro