Nicht ohne meine Gitarre

Mit der Parole vom Rock ’n’ Roll, der eigentlich schwarze Musik sei, sind sie einst angetreten. Dochfast zwanzig Jahre später sind Living Colour noch immer die einzige schwarze Rockband von Rang

von THOMAS WINKLER

Seit ein paar Wochen ist die Welt nicht mehr dieselbe, seit ein paar Wochen ist Vernon Reid Vater. Idea Viola heißt das Töchterchen, und der stolze Vater setzt einen verklärten Blick auf, wenn er von ihr erzählt. Sonst aber scheint alles beim Alten: Reid ist immer noch Gitarrist von Living Colour; Living Colour sind immer noch die einzige afroamerikanische Rockband von Rang, und die einzige afroamerikanische Rockband von Rang wirkt immer noch wie eine Anomalie im weitestgehend blütenweißen Rockgeschäft. „Wir waren eine Band“, erinnert sich Reid, „die es gar nicht geben durfte.“

Zurück auf Los: Als Living Colour sich 1984 gründeten, traten sie an, der Welt zu beweisen, dass der schwarze Mann Rock spielen kann. Nein, nicht nur das: Zu beweisen, dass er ihn sogar erfunden hatte. Sie beriefen sich auf Little Richard, Fats Domino, Chuck Berry und nicht zuletzt auf Jimi Hendrix. Auch der Rock, den das Quartett spielte, wirkte wie der Versuch, der Welt zu beweisen, dass Schwarze alles spielen können, verknüpfte Hardrock mit Funk und Reggae, adaptierte den gerade kommerziell erfolgreich werdenden Rap ebenso wie stumpfe AC/DC-Riffs, klaute Harmonien aus dem Jazz, schrieb kitschige Balladen und komplizierte Akkord-Gewitter.

Crossover war geboren, aber während sich heute Bands wie Limp Bizkit damit die weiße Nase vergolden lassen, stiegen Living Colour trotz solch prominenter Fürsprecher wie Mick Jagger nie in die allererste Liga auf. Für einen richtigen Außenseiterstatus reichte es dann aber auch nicht. Dazu gewannen sie zu viele Grammys und waren kommerziell zu erfolgreich. Mitunter, erzählt Reid, habe er sich wie „Der Unsichtbare“ aus Ralph Ellisons gleichnamigem Roman gefühlt, nie simpel genug einzuordnen, um wahrgenommen zu werden.

Vielleicht waren Living Colour zu politisch für den großen Erfolg, hätten sie in Songs wie „Cult of Personality“ oder „Open Letter (To a Landlord)“ nicht die amerikanischen Zustände kritisieren sollen. Womöglich erklärte sich die seltsam ambivalente Wirkung in der Öffentlichkeit mit der Tatsache, dass da vier sehr dunkelhäutige Menschen auf der Bühne standen. Ja, nicht einmal das schwarze Publikum, traditionell mit Soul und R & B sozialisiert, konnte sich mit ihren Vertretern im von Weißen dominierten Rockbiz anfreunden. Es gab – wie bei Hendrix zwei Jahrzehnte zuvor – sogar Vorwürfe, dass man dem weißen Publikum den Onkel Tom des Rock machte.

Living Colour kämpften tapfer gegen die Vorurteile von beiden Seiten. Reid gründete zusammen mit dem Journalisten Greg Tate und anderen Musikern und Künstlern die Black Rock Coalition (BRC), eine Art Interessenvertretung, die sich um Aufklärung bemühte. „Rock ’n’ Roll ist schwarze Musik“, hieß es in ihrem Manifest, „und wir sind ihre Erben.“ Die BRC gibt es immer noch. „Wir halten weiter im Gespräch, dass es schwarze Alternativen gibt“, sagt Reid heute.

Die gibt es. Trotzdem musste sich jemand wie Lenny Kravitz in seinen Anfangstagen der Versuche von Plattenfirmen erwehren, ihn zum Soulsänger umzubauen. Prince wurde als Rocker nie wirklich ernst genommen. Noch vor Jahresfrist stellte die New York Times leicht verwundert fest, dass sich die HipHop-Generation neuerdings der elektrischen Gitarre bemächtige. Dabei orientiert sich der Nachwuchs an anderen Vorbildern als die Generation von Reid: Cody Chestnutt, prominentester Vertreter des neuen schwarzen Rock, spielte R & B, bis er Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ hörte. Erst dann begann er, Gitarre zu lernen.

Gitarre spielen, das konnte Vernon Reid schon immer besser als die meisten anderen. Vor und nach der ersten Inkarnation von Living Colour fand er sein Auskommen als gefragter Studiomusiker. Versiert bedienen Reid und seine Kollegen auf „Collideoscope“ wieder einmal das gesamte verfügbare Spektrum: Eher dumpfe Rocker wie „Lost Halo“ stehen friedlich neben atmosphärischen Kleinigkeiten wie „Nova“. Und weil doch irgendwie alles beim Alten ist und weil, so Reid, Living Colour im Gegensatz zu den Dixie Chicks eine Band sind, „die nichts zu verlieren hat“, ist man auch weiter politisch: „Flying“ berichtet von 9/11 aus der Sicht eines Opfers, in „A ? of When“ und „Operation Mind Control“ geht es um die von der US-Regierung geförderte und instrumentalisierte Angst vor dem Terror, in „A Happy Shopper“ um Konsumwahn, „Sacred Ground“ sorgt sich um die Umwelt.

Ein wenig altmodisch mag es wirken, dieses trotzige Beharren auf politischen Inhalten, dabei stände für Reid als frisch gebackenem Vater doch gerade der Rückzug ins Private an. „Aber wenn diese Band jemals etwas zu sagen hatte“, meint Idea Violas Daddy, „dann hat sie es auch heute noch zu sagen.“

Konzerte: 8. 10. Berlin, 9. 10. Hamburg