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: Der Optimismus kommt von allein

Und so weiter und so groß

Obwohl die Frankfurter Buchmesse heute erst den Geschäftsbetrieb aufnimmt und ihre Pforten für Aussteller und Fachpublikum öffnet, lässt sich schon jetzt sagen: Diese Buchmesse wird eine gute werden, im Vergleich mit den Ausgaben der beiden Vorjahre möglicherweise sogar eine saugute. Kein 11. 9., der auf die Stimmung schlägt; keine neuen, dramatischen Umsatzrückgänge auf dem Buchmarkt; keine neuen, ermüdenden Diskussionen darüber, ob nicht vielleicht doch München der bessere und billigere Standort für die Buchmesse ist; und – den darf man einfach nicht vergessen, wenn’s um Stimmung und Geschäft geht – ein Bestsellerautor wie Dieter Bohlen, den die einstweilige Verfügung gegen sein zweites Buch „Hinter den Kulissen“ nicht die Bohne kratzt. Bohlen hat in Bild gerade erklärt: „Der Buchmarkt lag im Dornröschenschlaf, und ich habe die Prinzenrolle, ich habe das alles ein bisschen wachgeküsst.“

Optimismus macht sich so von ganz allein breit. Da braucht es nicht mal den Buchmessendirektor Volker Neumann, dessen ureigenste Aufgabe es ja ist, für gute Stimmung zu sorgen. Ist diese Messe die erste, für deren Planung er allein verantwortlich ist und bei der er auch mit ein paar Neuerungen aufwartet (siehe taz vom 30. 9.), so orakelte Neumann, dass das Weihnachtsgeschäft ganz prima werde (ist es eigentlich jedes Jahr), die Branche sich sehr optimistisch gebe und der gefährliche Abwärtstrend des vergangenen Jahres geradezu brutal gestoppt worden sei.

Für Letzteres kann Neumann als Buchmessendirektor einen konkreten Beleg liefern: Bei 6.413 Ausstellern aus 104 Ländern kommen dieses Jahr wieder fast 200 Verlage mehr als in den beiden vergangenen Jahren. Während die Zahl der Aussteller aus dem Ausland zurückgeht, sind 350 deutsche Verlage mehr als 2002 mit einem Stand vertreten, und das bei leicht erhöhten Standpreisen.

Dass in diesem Jahr mehr geht als sonst, dafür haben auch die Verlage mit ihrem Herbstprogramm gesorgt, das literarisch als eines der aufregendsten seit Jahren gehandelt wird und als eines der verkaufserfolgsträchtigsten gleich mit. Die Anzahl der Titel hat man zwar allseits verknappt, das fällt schon auf, nichtsdestotrotz warten die Verlage in diesem Herbst mit einem Großaufgebot an großen oder lange eingeführten Namen auf: Günter Grass, Peter Handke, Martin Walser, Siegfried Lenz, Botho Strauß, Christa Wolf, Uwe Timm, Sten Nadolny, Peter Härtling oder Christoph Ransmayer als zugkräftigste Autoren aus Deutschland; hochkarätige Amerikaner wie Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides, Louis Begley oder Don DeLillo; der Nobelpreisträger des vergangenen Jahres, Imre Kertész, und so weiter und so groß.

Kaum etwas falsch machen kann man mit solchen Namen, ja, gar richtig in Konkurrenz treten zu den Naddels, Effenbergs und Bohlens auf den Bestsellerlisten, selbst wenn manche der Bücher nur Neben-, Zwischen- oder Kleinstwerke sind wie bei Walser, Grass oder Handke, ein altes wie bei Franzen (sein Debüt von 1988) oder lediglich Erzählungen wie bei Eugenides. Wirklich leiden unter der schweren Krise aus dem vergangenen Jahr tun die jüngeren Autoren und Autorinnen, die Debütanten, die auffällig wenig vertreten sind. Da heißt es von Verlagsseite mal wieder, Zeit, Geduld und vielleicht sogar ein paar Euro zu investieren, statt einfach nur Geld zu verbrennen. AutorInnen wie Larissa Böhning, Gernot Wolfram oder Antje Wagner, die in diesem Herbst ihre Debüts veröffentlicht haben, versprechen erst mal keine großen Renditen, nur Achtungserfolge.

Wie es sich dagegen mit der russischen Literatur verhält, wie sie sich entwickelt, wird man wohl erst in nächster Zeit sehen. Das Wörtchen Schwerpunkt trifft es in diesem Jahr tatsächlich. Die russische Literatur hat haufenweise Schwergewichte, tote und lebende, und sie geht auch sichtbar in die Breite: nicht nur, weil 150 russische Autoren auf der Buchmesse vertreten sind, sondern weil anscheinend kein Verlag ein Problem damit hatte, ein, zwei oder mehrere russische Autoren aufzustöbern und deren Bücher zu veröffentlichen.

Hat man einmal einen Blick in Bücher wie „Die irrlichternde Zeit“ von Juri Mamlejew oder „Angst“ von Oleg Postow geworfen, in Dimitri Prigows „Lebt in Moskau“ oder Wladimir Makanins „Untergrund“, weiß man, dass die russische Literatur nicht immer das reinste Lesevergnügen ist und viel Ausdauer verlangt. Und nicht nur die: auch die Kenntnis der russischen Verhältnisse vor und nach der Perestroika, die Kenntnis der russischen Geistes- und Literaturgeschichte. Umgekehrt gilt das allerdings genauso: Was soll ein russischer Leser schon mit Sten Nadolnys „Ullsteinroman“ groß anfangen? Gut möglich, dass es der russischen Literatur trotz des aktuellen Hypes in großen Teilen geht wie der litauischen, polnischen oder griechischen: Nach der Buchmesse herrscht wieder Schweigen.

Dass sich das einmal auch um einen Buchverfasser wie Dieter Bohlen legt, ist eher unwahrscheinlich. Das haben nicht mal die Landgerichte Hamburg und Berlin geschafft: „Hinter den Kulissen“ wird mit geschwärzten Stellen auf der Buchmesse vorgestellt, höchstpersönlich von Prinz Bohlen, am Donnerstag am Random-House-Stand.    GERRIT BARTELS