Massenvernichtungswaffen

Mit ihrer Kampagne zielen die Menschenrechtsaktivisten auf die UN-Nachfolgekonferenz zum illegalen Handel mit Kleinwaffen im Jahre 2006

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Wenn wir an Kampf und Terror denken, beschleicht uns schnell die Angst vor atomaren, biologischen oder chemischen Kampfstoffen. Doch wirklich in Massen töten die ganz gewöhnlichen Waffen: Jede Minute wird auf der Erde ein Mensch erschossen. Eine halbe Million Tote jedes Jahr.

Die Kriege in Bosnien und Irak, die unser Bild von der Schlacht dominieren, wurden entschieden durch Bombardements und High-Tech. Doch die meisten der rund 50 Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges wurden fast ausschließlich mit Sturmgewehren ausgetragen. Folgerichtig nennen Menschenrechtler Waffen wie das deutsche G-3 von Heckler & Koch die „Massenvernichtungswaffen der heutigen Kriege“.

Während die internationale Gemeinschaft ABC-Waffen streng kontrolliert, ist die Haltung gegenüber Pistolen und Sturmgewehren außerordentlich lax. Das Internationale Aktionsnetz zu Kleinwaffen (Iansa) will das ändern: Gestern startete weltweit die Kampagne „Waffen unter Kontrolle“. Ziel ist ein rechtlich bindendes UN-Abkommen bis 2006. In Deutschland koordinieren der Entwicklungsverband Oxfam und amnesty international (ai) die Kampagne: Statt Unterschriften sammeln sie im Internet (www.controlarms.org) Fotos von Menschen, die die Sache unterstützen.

Die Kampagne startete gestern in mehr als 60 Ländern. Weltweit sollen eine Millionen Protestbilder zusammenkommen. In London errichteten Oxfam-Aktivisten ein großes Feld von hunderten Grabsteinen, um dort die ersten Fotos zu sammeln, auch in Barcelona und Madrid wurden nach Angaben von Iansa symbolische Friedhöfe errichtet. In den Niederlanden übergaben die Waffengegner eine Studie an Entwicklungshilfeministerin Agnes van Ardenne. Eigentlich sollte der Außenminister und designierte Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer kommen, doch der fand dann „keine Zeit“. In Kambodscha und Mali unterstützen die Regierungen ganz offen die Kampagne und nahmen an den gestrigen Pressekonferenzen teil. Auch in Australien, Hongkong, den USA und Brasilien startete gestern die Kampagne.

Die Menschenrechtler zielen auf die UN-Nachfolgekonferenz zum illegalen Handel mit Kleinwaffen in drei Jahren. Die erste Kleinwaffenkonferenz 2001 in New York konnte sich nur auf einen recht unverbindlichen Aktionsplan einigen. Damals blockierte der weltgrößte Waffenhändler USA, im Stillen von China und Russland unterstützt, jede effektive Kontrolle. Insbesondere bestanden die Länder auf das Recht zu privatem Waffenbesitz.

Um 2006 zu einem besseren Ergebnis zu kommen, setzen Oxfam und ai auf Druck von unten. Sie hoffen auf einen ähnlichen Erfolg wie die weltweite Kampagne gegen Anti-Personen-Minen, die 1997 zu einem UN-Verbot führte. Regierungen sollen sich ebenfalls bewegen – selbst die rot-grüne Bundesregierung. Die verfolgt nach eigenen Angaben zwar eine restriktive Exportpolitik, trotzdem bliebe Deutschland einer der größten Rüstungsexporteure, beklagt Mathias John von ai. „Deutschland sollte der Rhetorik Taten folgen lassen und Menschenrechte bei Exporten berücksichtigen sowie genehmigte Exporte umfassend offen legen.“ Besonders kritisiert John die rot-grünen Genehmigungen für Munitionsfabriken in Nepal und der Türkei. Eine Politik, die Außenminister Joschka Fischer zum Ziel einer Postkartenaktion macht.

Von den 500.000 Erschossenen jährlich sterben nach Schätzungen der Schweizer Studie „Small Arms Survey“ des Genfer Hochschulinstituts für internationale Studien rund ein Drittel im nichtmilitärischen Einsatz. Knapp 60 Prozent aller Schusswaffen gehören Privatleuten. Diese weite Streuung tödlicher Werkzeuge erschüttert viele Staaten, lange nachdem sie Bürgerkriege überwunden haben. In Guatemala etwa hatten die Bürger im Jahre 2000 – vier Jahre nach Ende des Bürgerkrieges – das Gefühl, ihr Leben sei mehr bedroht als zuvor. Wenn die Wirtschaft sich nicht erholt, führt der Nachlass an Waffen automatisch zu Raub und Totschlag.

Im Irak fand man bis heute zwar keine Massenvernichtungswaffen, dafür ist dort heute für jeden Iraker eine Kleinwaffe im Umlauf. Weltweit gibt es Schätzungen der Genfer zufolge rund 640 Millionen Kleinwaffen – jedes Jahr werden 8 Millionen neue gebaut. Vier von fünf illegalen Waffen waren zuvor rechtmäßig in Gebrauch. Allein 2001 wurden 16 Milliarden Patronen hergestellt – zweieinhalb pro Erdenbürger.

Und an der Verbreitung ändert sich wenig. „Der Kampf gegen den Terror hätte die Aufmerksamkeit der Politik darauf lenken müssen, dass Waffen nicht in falsche Hände geraten“, sagt Jörn Kaliniski von Oxfam. „Doch einige Exportstaaten haben die Kontrollen gelockert, um neue Verbündete gegen den Terrorismus aufzurüsten.“