Zwangsrekrutiert und als Terroristen verkauft

Nach dem Afghanistankrieg suchten sich die US-Militärs mit Hilfe fragwürdiger Alliierter ihre Gefangenen für Guantánamo Bay aus

KABUL taz ■ Als im November 2001 der Krieg in Afghanistan zu Ende ging, ergaben sich tausende Taliban-Kämpfer dem General Abdul Raschid Dostum von der Nordallianz. Auf dem Weg ins Shebargan-Gefängnis im Norden Afghanistans erstickten viele von ihnen in den Containern, in denen sie transportiert wurden. Wer die Reise überstand, wurde anschließend in Gefängnistrakten unter Bedingungen gehalten, die einen EU-Botschafter zu einem Auschwitz-Vergleich veranlassten.

Hier suchten die US-Militärs mit Dostums Hilfe die ersten Gefangenen für Guantánamo Bay aus. Der 35-jährige Bauer Jan Mohammed war einer von 60 Gefangenen, die die Reise nach Kuba antreten mussten. Von den Taliban in seinem Dorf im Süden Afghanistans zwangsrekrutiert, versteht er bis heute nicht, warum er eineinhalb Jahre in Guantánamo Bay festgehalten wurde.

Jan Mohammad vermutet, dass die Amerikaner ihn aufgrund seiner stämmigen Erscheinung für einen führenden Taliban hielten. „Mich beschäftigte die ganze Zeit nur ein Gedanke: Wann komme ich endlich wieder nach Hause? Eines Tages fühlte ich mich sehr schlecht, und sie brachten mich in ein Lazarett. Hier waren tagelang keine Dolmetscher vorhanden, und ich konnte mich nicht verständigen. Da habe ich meiner Familie einen Brief geschrieben und ihr erzählt, wie ich schon fast zu einem Tier geworden bin und dass ich, bis wir uns wiedersehen, bestimmt total verkommen sein werde.“

Jan Mohammed kam Ende letzten Jahres nach Hause. In seiner Abwesenheit hatte die Familie ihr Land verkaufen müssen. Von Präsident Karsai erhielt er 100 US-Dollar Entschädigung.

Ähnlich liegt der Fall zweier junger Taxifahrer aus Khost im Osten Afghanistans. Am 10. April 2002 fuhr Sayed Abassin drei Fahrgäste aus Kabul in Richtung Khost. Als Abassin gegen Mittag durch Gardez fuhr, gab es eine laute Detonation in unmittelbarer Nähe der US-Garnison. An einem Kontrollpunkt wurde er angehalten, aus seinem Taxi gerissen und verhaftet. Eine halbe Stunde später erreichte sein Freund Wazir Mohammed denselben Kontrollpunkt und sah Abassins leeres Taxi. Daraufhin erkundigte sich Wazir bei den Posten nach seinem Freund. Auch er wurde aus seinem Taxi gerissen und verhaftet.

Taj Mohammed Wardak, der damalige Gouverneur der Provinz, wurde telefonisch über eine Festnahme zweier Al-Qaida-Terroristen informiert. Ohne die Fakten zu überprüfen, übergab Wardak die beiden jungen Taxifahrer den US-Spezialeinheiten. Innerhalb weniger Tage wurden Sayed Abassin und Wazir Mohammed nach Kuba verfrachtet (siehe Dokumentation auf dieser Seite). Nach fast einem Jahr in Guantánamo Bay wurde Abassin am 21. März 2003 freigelassen. Wazir befindet sich noch dort. Abassins Taxi ist verschwunden, er ist heute mittellos. Er ist davon überzeugt, dass Wardak ihn für 5.000 Dollar an die Amerikaner verkauft hat.

Dies sind nur drei Beispiele von über 60 Fällen willkürlicher Verhaftung, die recherchiert werden konnten. Mitte August dieses Jahres etwa wurde eine sechsköpfige Familie von den Amerikanern verhaftet. Nach 45 Tagen Haft auf der US-Basis in Bagram, Kabul wurden die fast achtzigjährigen Eltern und ihr 14-jähriger Enkel freigelassen. Die drei Söhne erwartet der nächste Transport nach Guantánamo Bay. ASHWIN RAMAN