„Mit sofortiger Wirkung hhüitt“

Subversiver Protest gegen die nationalsozialistische Machtübernahme oder Dokumente einer ästhetischen Suche? Die Frankfurter Schirn zeigt Zeichnungen („Mappe“) des avantgardistischen Malers Paul Klee aus dem Jahr 1933

von MARIE LUISE KNOTT

Die Vorgeschichte. Ende Juli 1933, so die Anekdote, die die Ausstellung begründet, von der hier die Rede sein wird, soll der Maler Paul Klee in Düsseldorf, nachdem die Nationalsozialisten ihn bereits aus der Kunstakademie hinausgeschmissen hatten, zwei ehemalige Kollegen zum Nachtessen eingeladen haben. Dabei präsentierte er seinen Gästen eine Mappe mit Zeichnungen und sagte, er habe „die nationalsozialistische Revolution gezeichnet“. Einer der beiden Gäste war der ebenfalls von den Nazis geschasste Direktor der Kunstakademie, Walter Kaesbach, der andere war der Schweizer Bildhauer Alexander Zschokke, der bis 1937 an der Kunstakademie blieb.

Nach dem Krieg berichtete Zschokke von jenem Abend, doch im Nachlass fand sich keine Mappe, die zu dieser Geschichte passte. Die Frage, was der zumeist als unpolitisch geltende Paul Klee in den politischen Wirren von 1933 gezeichnet hatte, blieb unbeantwortet.

Man war mit anderen Dingen beschäftigt. Lange Zeit konzentrierte sich die Forschung über den Nationalsozialismus auf die politischen Lager. Erst Anfang der Achtzigerjahre – nicht zuletzt im Gefolge der 1979 in der Bundesrepublik ausgestrahlten TV-Serie „Holocaust“ – vollzog sich ein Wandel im öffentlichen Bewusstsein: Neue gesellschaftliche Gruppen und vor allem die Prägung individueller Biografien durch den Siegeszug des Nationalsozialismus rückten ins Blickfeld.

Damals dürfte man sich auch der beschriebenen Anekdote wieder erinnert haben und somit der Frage, ob und wenn ja wie sich der Sieg der Nazis in den Arbeiten des verfemten Malers Paul Klee niedergeschlagen hatte. 1984 jedenfalls präsentierte der Konservator am Klee-Archiv, Jürgen Glaesemer, erstmals eine Zusammenstellung von Zeichnungen aus dem Jahr 1933 als jene gesuchte Mappe, wenn es sie denn gegeben hat.

In Fachkreisen wurde seither nach weiteren Zeichnungen und eindeutigen Zugehörigkeitskriterien dieser euphemistisch als „Revolutionsblätter“ bezeichneten Mappe gesucht – und in diesem Jahr nun, siebzig Jahre nach dem überlieferten Abend, fast zwanzig Jahre nach der Glaesemer-Zusammenstellung, hat die Kuratorin Pamela Kort unter dem Titel „Paul Klee, 1933“ eine Sammlung von Zeichnungen arrangiert, die (nach Stationen in München und Bern) nun in der Frankfurter Schirn zu sehen sind.

Der Fund als solcher beeindruckt unmittelbar. Klee muss 1933 geradezu manisch gemalt haben. Allein die Mappe soll 254 Zeichnungen enthalten. Offensichtlich, so der Eindruck der Ausstellung, hat Klee unter dem Druck der Ereignisse, die die Ausstellung ausführlich dokumentiert, seine Formsprache verloren und das Erlebte in rasante Zeichnungen umgesetzt. Der Kampf gegen die Moderne, den die Nationalsozialisten unter Stichworten wie „impotenter Intellektualismus“ oder „Kunst, die nicht aus der Seele kam“, führten, richtete sich damals in Düsseldorf explizit und mit großer Vehemenz gegen die „Kaesbach-Flechtheim-Akademie“, wie die Kunstakademie genannt wurde.

Der Düsseldorfer Alfred Flechtheim war als Sammler und Galerist für moderne Kunst (Klee, Kandinsky) während der Weimarer Zeit weit über das Rheinland hinaus bekannt geworden. Man neidete ihm den Erfolg und missgönnte dem mit Flechtheim verbundenen Direktor Kaesbach seinen kulturpolitischen Einfluss. „Brutstätte des internationalen Modernismus und der Geschmacksverbildung“ lautete eine Bezeichnung für die Akademie. „Seelensilos“ schimpften die Nazis die modernen Wohnhäuser der Bauhaus-Architekten.

Paul Klee, den Kaesbach aufgrund der Fürsprache von Flechtheim 1931 vom Dessauer Bauhaus nach Düsseldorf geholt hatte, war in den Augen der Nazis unmittelbar Teil dieser „Clique“ – eine „jüdisch-bolschewistische Verschwörung“, so die Fama, die um des eigenen Profits und der eigenen Geltungssucht willen die angeblich authentische deutsche Kunst zersetzt habe. Als „wichtige Etappe auf dem Weg zur Befreiung der vierzehn Jahre lang von artfremden Elementen geknebelte deutsche Kunst“ feierte die Zeitschrift Deutsche Kultur Wacht Klees Rauswurf.

Wie überall, so hofften auch im Rheinland traditionelle Maler (wie etwa die der Düsseldorfer Gruppe des „Malkasten“) und Kunstvereine mit ihrer Mischung aus Klassizismus und Provinzialismus auf ein Comeback durch die „Erneuerung“ der Nazis.

Als mit Julius Paul Junghanns ein Tiermaler alter Prägung zum vorläufigen Nachfolger von Kaesbach bestimmt wurde, sah es kurz so aus, als erfüllten sich ihre Hoffnungen. Doch der Triumph war nicht von langer Dauer, denn schon im Herbst trat der Architekt Peter Grund an die Spitze der Akademie.

Jedes Mal, wenn man sich die Geschehnisse vor Augen führt, ist man aufs Neue erstaunt, in welchem Tempo die Nazifizierung in Deutschland voranschritt. Die Kampagne gegen Klee basierte auf Vorwürfen wie „krankhaft verschuldeter Infantilismus“ aber auch auf den üblichen Schlagworten „Jude“ beziehungsweise „Kulturbolschewismus“: „Er erzählt jedem, er habe arabisches Vollblut in sich, ist aber typischer galizischer Jude“, hieß es im Völkischen Beobachter bereits am 1. April 1933.

Äußerlich blieb Klee stolz und gelassen. „Denn wenn es auch wahr wäre, dass ich Jude bin und aus Galizien stammte, so würde dadurch an dem Wert meiner Person und meiner Leistung nicht ein Jota geändert“, schrieb er an seine Frau. Doch am 21. April 1933 erfolgte das Aus: Paul Klee wurde „vorübergehend“ von seiner Professur an der Kunstakademie beurlaubt. „Mit sofortiger Wirkung hhüitt“, notierte er in seinen Taschenkalender an jenem Tag.

In der Ausstellung hängt das Ölbild, das unmittelbar den Rausschmiss zum Thema hat („Von der Liste gestrichen“, 1933), doch es hat nichts von der Lakonik eines „hhüitt“. Die Formen sind vielmehr äußerst komprimiert, die Farben extrem opak, der Gesamteindruck des Bilds so bedrängend und undurchdringlich wie die damalige Lage gewesen sein dürfte.

Klee glaubte, dass sein Ruhm stärker sei als das Banausentum der Nazis und der „amtslüsternen Kitschmaler des Malkastenvereins“ (Lily Klee). Doch die wachsende Feindseligkeit dürfte ihn immer wieder eingeholt haben in jenem Jahr: Bilder, die im Besitz von Museen sind, verschwinden in Depots. Bilder, die er vor Jahren als Leihgaben an Museen gegeben hatte, werden ihm zurückgesendet, andere holt er sich wieder, aus Angst, dass sie verschwinden könnten. Sein wichtigster Verkäufer, Flechtheim, muss ins Ausland fliehen. Auch Klee emigriert schließlich Ende 1933 in die Schweiz.

Die Ausstellung. Man kennt Paul Klee als Mitbegründer der Avantgarde, als den Komponisten eines faszinierenden und verführerischen, gleichwohl kalkulierten Spiels aus Linien, Punkten, Formen, Pfeilen und Spiralen. Abgerundet wurden seine Kompositionen für gewöhnlich mit poetischen, satirischen, leicht verrätselten Titeln. Während die wenigen Ölbilder der Ausstellung einen gewohnten Klee präsentieren, zeugen auf den „Revolutionsblättern“ nur die Titel von dem bekannten Klee’schen Duktus. Die Zeichnungen selber zeigen einen völlig unkleeigen, unavantgardistischen Klee. Es gibt keine Formsprache mehr, und auch die Linie hat an Tragfähigkeit eingebüßt. Vielmehr dominiert in der Stiftführung Chaos, der Eindruck des Rasanten, des schnell Hingezeichneten.

Es scheint, als habe ausgerechnet Klee, der die Abstraktion vom Vergänglichen propagiert hatte, einen unmittelbaren Ausdruck für die NS-Bedrängnis gesucht. Er, der kosmische Künstler, der in seinem Werk die sichtbare Welt „aufschmilzt, um die innere Realität ins Sichtbare zu heben“ (Klee), verhaftet sich mit chaotischem Bleistiftstrich scheinbar ganz der sichtbaren Welt.

Zum Beispiel der Pfeil: In Klees Formlehre steht er für „die ideelle Fähigkeit des Menschen, Irdisches und Überirdisches beliebig zu durchmessen“. In den Zeichnungen zur „nationalsozialistischen Revolution“ ist dieser abstrahierte Aspekt verschwunden, der Pfeil ist nurmehr konkret: ein (primitiver) Wurfspieß, mit dem Menschen gejagt und Riesen in Schach gehalten werden. Hat es Paul Klee angesichts der Machtergreifung die eigene Kunstsprache verschlagen? So jedenfalls können die Zeichnungen leicht interpretiert werden, wenn sie mit dem Stichwort 1933 verbunden sind.

Unwillkürlich erwartet man in einer Ausstellung mit dem Titel „Paul Klee, 1933“ eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, zumal man sich an Klees politischen Zeichnungen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs erinnert: „Der Krieg schreitet über eine Ortschaft“, „Schlachtfeld“, „Der Tod für die Idee“, „Der Krieg, welcher das Land verwüstet“ lauten Titel von Zeichnungen der damaligen Zeit.

Doch in „Paul Klee, 1933“ gibt es kaum Hakenkreuze, keine HJ-Menschen in Uniform, keine Aufmärsche. Nur wenige der Bilder sind explizit politisch. Viele schöpfen ihr Sujet aus der Pflanzen-, Tier-, auch Mythenwelt, doch immer wieder geht es um die Bedrohung und Deformation des Einzelnen: Demagogie, Antisemitismus, Gewalt und Militarismus werden aufgespießt.

Das Bild mit dem Titel „Auswandern“ zeigt eine gebeugte Frau und einen bis aufs Rückgrat abgemagerten Mann, dem der Kopf buchstäblich verrückt ist. Jenes mit der Unterschrift „Menschenjagd“ zeigt ein fliehendes Knäuel Mensch, das von drei (möglicherweise aus Hakenkreuzen geformten) Figuren mit Speerpfeilen aus dem Bildrahmen gejagt wird. „Schwer Erziehbare“ zeigt aufrecht stehende Erwachsene, daneben ein Kind, das bereits wie ein Käfer am Boden liegt, und ein anderes, das gerade niedergetreten wird.

Das wichtigste Thema, das auch in diesen Zeichnungen im Zentrum steht, ist die Kindheit, jenes Lackmuspapier des Klee’schen Erlebens. Die Welt im Jahr 1933 ist der freien Entfaltung des Individuums feindlich, Kinder werden dressiert, der Einzelne ist ein David, der den Goliath besser nicht herausfordert. Ob gekrümmt, überdehnt, geknäult, oder aus dem Bild verdrängt – keine Figur nimmt mehr künstlerische Gestalt an, auch keines der Tiere.

Die Mappe. So erstaunt man diese präavantgardistisch anmutenden Zeichnungen Klees betrachtet, bleiben doch am Ende Fragen offen. Da gibt es einen Satz aus dem Jahr 1933: „Ich habe die nationalsozialistische Revolution gezeichnet“, der fünfzehn Jahre später (1948) erstmals kolportiert wird, auf den hin fünfunddreißig Jahre später eine Mappe aus dem Nachlass zusammengestellt wird, die wiederum fast zwanzig Jahre später eine Ausstellung hervorbringt: Was aber könnte der Satz gemeint haben, auf dem die aktuelle Ausstellung gründet?

Nur zu gern hätte man mehr über die Zusammenhänge erfahren. Was wurde zwischen 1948 und 1984 geforscht? Auf welche Weise hat Jürgen Glaesemer die Mappe vor knapp zwanzig Jahren zusammengestellt? Was ist der Unterschied zwischen der „Glaesemer-Mappe“ von damals und den Zeichnungen, die Pamela Kort heute präsentiert? Auf welchem Konzept basiert die heutige Auswahl und Hängung der Zeichnungen?

Die Ausstellungsmacher sagen im Katalog, sie hätten sich für das Kumulative, nicht für das selektive Prinzip entschieden. Sie führen aus: „Alles, was vom Stil (rasanter Duktus und Schraffuren), von der Technik (Bleistift oder Fettkreide) sowie vom Bildträger (Detail oder Konzeptpapier) her zusammenpasste, wurde aufgenommen.“

Doch es gibt Zeichnungen aus dem Jahr 1932, die vom Stil, von der Technik sowie vom Bildträger (und auch von der Thematik) her durchaus zu den Zeichnungen von 1933 passen, ja: dazuzugehören scheinen. 1980 präsentierte Tilman Osterwold in der wunderschönen Ausstellung „Ein Kind träumt sich“ die Zeichnungen „Mutterschaft als Unglück“, „tote Puppen“ und „ausgesetzt“, die allesamt von 1932 sind, gemeinsam mit Zeichnungen aus der jetzigen Ausstellung.

Sie alle sind mit demselben hektischen Strich gemalt und berühren ähnliche Themen. Im Hinblick auf diese Bilder von 1932 (die in der Ausstellung nicht erwähnt werden und im Katalog nur in einer Fußnote vorkommen) ist die auf 1933 datierte Zäsur, wie sie die Ausstellung suggeriert, nicht überzeugend.

Da es 1932 bereits Zeichnungen im gleichen Duktus gegeben hat, könnte eine andere Zäsur einschneidend gewesen sein. Ende der Zwanzigerjahre hatte das Bauhaus sich neu orientiert und auf die angewandte Kunst konzentriert. Klee war als Professor dort zunehmend ins Abseits geraten, weshalb er die Berufung nach Düsseldorf mit großem Elan verfolgte („Drüber und empor“ und „bestandenes Abenteuer“ titelte er seine Abschiedszeichnungen).

Mit seinem Gespür für ästhetische, gesellschaftliche wie politische Entwicklungen dürfte er die Auseinandersetzungen und Umbrüche im Bauhaus auch als Teil einer Krise der Moderne und somit auch als Krise seines eigenen ästhetischen Konzepts verstanden haben. Er musste neue Formen erproben, ein Stillstand war keine Antwort gewesen. Und so dürfte er sich von Düsseldorf neue künstlerische Freiheiten und Perspektiven erhofft haben.

Zeichnungen sind bekanntlich das Experimentierfeld für neue Ideen, und so kann man vermuten, dass die Auflösung der eigenen Formsprache, die schon 1932 begann und in den „Revolutionsblättern“ deutlich zutage tritt, nicht allein (und vielleicht nicht primär) dem Schock der Ereignisse geschuldet war, sondern Teil einer Suche nach neuen Ausdrucksformen gewesen ist – Teil seiner Entwicklung von der durchrationalisierten Abstraktion der Bauhauszeit hin zu jener figurativen Gestaltung, die Paul Klees Spätwerk dominiert.

So festigt sich am Ende der Eindruck, dass die Ausstellung einen interessanten Einblick ermöglicht in einen bislang unbeachtet gebliebenen Aspekt des Klee’schen Gesamtwerks. Durch den starren Blick auf „1933“ jedoch gehen zentrale Aspekte unter. Inwieweit die Krise der Moderne als Teil der Krise der Weimarer Republik, die im Nationalsozialismus mündete, Movens der „Revolutionsblätter“ gewesen ist, bleibt offen.

MARIE LUISE KNOTT, Jahrgang 1953, leitet die deutsche Ausgabe von Le Monde diplomatique . Sie lebt in Berlin. Am Rande des Kölner Kunstmarkts Ende der Sechzigerjahre erwarb sie ihren ersten Klee-Druck