Papa ist der Größte

Zwei zu drei vergeigt: Sönke Wortmanns Spielfilm „Das Wunder von Bern“ kümmert sich zu wenig um den Fußball. Und was nutzt die perfekte Ausstattung, wenn der Hauptdarsteller nicht mitspielt?

von DIETRICH KUHLBRODT

Vor fünfzig Jahren in Bern. „Noch ein Tor, Deutschland vor“. Drei zu zwei gegen Ungarn. Deutschland ist Weltmeister. Wir sind wieder wer. Gleich nach dem Fußballwunder kommt das Wirtschaftswunder. Leider folgt dem jetzt nicht das Filmwunder. Regisseur Sönke Wortmann hat den Film zwei zu drei vergeigt. Zwar schießt die Kamera (Tom Fährmann) treffsicher die von Uli Hanisch liebevoll gestalteten, inspirierten und detailgenauen Szenenbilder. Die Fünfzigerjahre des Ruhrgebiets, noch trist, aber von vager Hoffnung erfüllt, werden in Bauten, Kostümen und Requisiten präsent. Garantiert nostalgiefrei, die Heimat des Torschützen Helmut Rahn. Die Ausstattungsdramaturgie und die Gefühle, die sie weckt: ein glattes Tor. Und nun das zweite: das historische Fußballspiel, nachgespielt im Ruhrgebiet, da das Berner Wankdorfstadion in die Luft gejagt und zum ground zero gemacht ist – das Spiel ist grandios nachinszeniert. Richtig was zum Ankucken. Auch wenn man vom Fußball keine Ahnung hat.

Aber, jetzt kommt’s, das Weltmeisterspiel ist gar nicht das Hauptthema des Films. Wir sollen uns stattdessen für das Schicksal eines Heimkehrers interessieren, im Weltmeisterjahr soeben aus sibirischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Peter Lohmeyer spielt den wiedergewonnen Familienvater seltsam lieblos, undifferenziert und eindimensional. Ein zickiger Macho nervt nicht nur Sohn und Frau, sondern auch den Zuschauer. Schwer katholisch ist er auch, und so werden wir wieder stracks aus der klasse Fußballstimmung rausgerissen und landen in der Essener Kirche, wo Maria gebenedeit ist unter den Weibern. Foul, Sönke Wortmann! Bittschön, das geht schon in Ordnung, den Kontext zur Zeit herzustellen, in der Adenauer in Moskau für die Freilassung der letzten Gefangenen sorgte. Aber was nützt die perfekte Ausstattung, wenn der Hauptdarsteller nicht mitspielt.

„Es ist an der Zeit, sich an das Leid der Kriegsgefangenen zu erinnern“, sagt die Familienmutter entschuldigend. Papa ist Opfer, in der Sowjetunion schwer traumatisiert und im Ehebett daher impotent. Die Kinder werden geohrfeigt, die Lieblingskaninchen des Jungen brät er zum Mittagessen, malochen kann er auch nicht, weil der Pressluftbohrer an Geschützfeuer erinnert; beleidigt steigt er aus dem Rückkehrzug, beleidigt läuft er durch den Film. Ihm muss geholfen werden, sagt die Mutter. Der eine Sohn sieht das nicht ein; er fährt in die Hauptstadt der DDR und zieht eine FDJ-Uniform an; der andere bleibt daheim und beteiligt sich an der Familientherapie. „Papa, du bist doch der Größte.“ Und siehe, ein Therapiewunder, Sohnesliebe heilt alles. Vater und Sohn fahren zur Weltmeisterschaft nach Bern, immer wieder werden wir aus dem Spiel gerissen und sehen die beiden im Pfarrersauto über die malerischen Alpenpässe fahren, die man von Essen nach Bern offenbar bewältigen muss. Happy End!

Schön, wir sind im „Wunder von Bern“ in einer Familienserie, wie wir sie vom Vorabend kennen. Auch ist zu loben, dass der dreizehnjährige Sohn den Vater grandios an die Wand spielt, wobei der Junior gar der echte Lohmeyer-Sohn ist (Louis Klamroth).

Kommen wir aber zum zweiten Eigentor. Wenn schon die Serie-mit-den-Nebenhandlungen, dann doch bitte anständig inszeniert. Die Dialoge des Sportjournalistenpaares sind unter aller Sau; umso unglaubwürdiger das ungebremste Geschauspielere. Die Lachnummer macht jedes Zeitkolorit zunichte. Und drittens: Während wir im Fußballblock lernen, dass Siegeswillen zum Sieg führt, scheint Wortmann nicht an den Sieg seines Films zu glauben. Schwerwiegende Indizien gibt’s dafür. Geigen schluchzen bei der Ankunft des Heimkehrertransports, Orchesterbombast schüttet die Emotionen zu, Off-Stimmen erklären, was das Bild erklärt hat, und Untertitel wollen uns bedeuten, was wir längst gedeutet haben. – Hergott, es war doch schon längst alles da, was wir jetzt noch extra eingetrichtert bekommen! Wir haben verstanden: Der Soldat ist Opfer geworden. Wir müssen mit Opfern solidarisch sein. Deutschland führt wieder, und im Ausland wird das Deutschlandlied gesungen. „Deutschland, Deutschland, über alles, über alles in der Welt.“ – Hoppla, Tschuldigung, der erste Vers, 1954 in Bern historisch gesungen, kommt denn doch nicht im „Wunder von Bern“ vor.

„Das Wunder von Bern“. Regie: Sönke Wortmann. Mit Peter Lohmeyer, Louis Klamroth u. a., D 2003, 118 Min.