Der Unterricht gehört mir

Streit um Bilder und geistige Werke: Der Dorfschullehrer aus dem Dokumentarfilm „Être et avoir“ zieht vor Gericht

„Être et avoir“ ist einer jener seltenen Dokumentarfilme, die Karriere gemacht haben. Der 2002 veröffentlichte Film über den Alltag einer Einklassendorfschule in Zentralfrankreich lockte 1,8 Millionen Zuschauer in die Kinos, wurde 200.000-mal auf DVD verkauft und ist in Frankreich Kult. Jetzt ist der Film von der US-Amerikanisierung im Kulturgeschäft eingeholt worden: Georges Lopez, der Dorfschullehrer, klagt vor Gericht. Er macht das Recht auf sein Bild und sein „geistiges Werk“ geltend. Und verlangt 250.000 Euro Provision – für den Anfang.

Filmemacher Nicolas Philibert hatte die Dorfschule im Puy-de-Dôme unter 110 Kandidatinnen für seinen Dokumentarfilm ausgewählt. Über zehn Monate lang in den Jahren 2000 und 2001 zeigt er immer wieder den Lehrer und seine drei- bis zehnjährigen Schüler bei der Arbeit. Der Dorfschullehrer hatte die schriftlichen Einverständniserklärungen aller Eltern eingeholt. Die Schulbehörde hatte ebenfalls zugestimmt. Lehrer Lopez, der inzwischen in Rente ist, schwärmte nach Abschluss der Filmarbeiten von der „schönsten Inspektion meines Berufslebens“. Ein paar Monate später, als „Être et avoir“ im Jahr 2002 auf dem Filmfestival von Cannes lief, stiegen der Dorfschullehrer und seine Schüler über die legendären Treppen hinauf. Nun schlägt die Urheberrechtsklage des Lehrers wie eine Bombe im Milieu der französischen Dokumentarfilmer ein. Bis dato gab es vergleichbare Klagen gegen Fotografen. Da wollten Leute und Unternehmen das Recht auf das Bild von „ihrem“ Vulkan in der Auvergne und von „ihrer“ historischen Hütte im Var erklagen – und in bare Münze umsetzen.

Aber ein solches Vorgehen gegen einen Dokumentarfilmer hat es in Frankreich bislang nicht gegeben. Filmemacher Philibert ist „zutiefst verletzt“ und sagt heute, dass er den Lehrer, „den ich zu filmen glaubte“, heute nicht wieder erkennt: „Er ist kein Schauspieler – ich habe ihn bei seiner Arbeit gefilmt.“ Philibert, der für „Être et avoir“ den Louis-Delluc-Preis erhalten hat, erklärt: „Es ist ein Grundprinzip des Dokumentarfilms, dass die Hauptpersonen in ihrer Realität gezeigt und nicht bezahlt werden.“ Der Lehrer hingegen macht heute geltend, dass der Film von seiner Arbeit und seinen Methoden in der Dorfschule lebe. „Der Unterricht ist mein Werk“, sagt er, „dafür habe ich alle Rechte.“

Die französische Justiz wird erst im kommenden Jahr über die Klage des Lehrers gegen den Filmemacher, seine Produktions- und seine Vertriebsgesellschaft entscheiden. Aber der Streit wirft schon jetzt Fragen auf, die die künftige Arbeit auch von Journalisten extrem komplizieren könnten: Was ist ein geistiges Werk? Wo endet das Recht auf das eigene Bild? Und: Darf man sich in seiner eigenen (beruflichen) Rolle als Schauspieler betrachten? Sollte der Lehrer seinen Kampf gewinnen, brauchten Dokumentarfilmer, aber auch Journalisten, künftig ein dickes Scheckbuch. Denn die Klagemöglichkeiten sind schier unbegrenzt. Selbst Feuerwehrleute im Notfalleinsatz, die abends in den Fernsehnachrichten gezeigt werden, könnten Tantiemen verlangen. DOROTHEA HAHN