„Wir sind alle nur Würmer“

Vielleicht die letzte Gelegenheit für eine Liebeserklärung: Ab Montag wagt sich Charlotte Roche (25) aus der Viva-Nische ins Mainstream-Haifischbecken von Pro 7 („Charlotte Roche trifft …“, 23.20 Uhr)

von HENNING KOBER

„Hallo, ich bin Charlotte“, sagt Charlotte Roche und wippt mit dem Kopf nach vorne. Verbeugung. Angenehm. Klein, schmal ist sie. Die Augen dunkel geschminkt, die Lippen zucken ein Lachen. Dunkle Jeans, dunkles Shirt mit blauen Sternen darauf am Körper. Darüber ein Kleid in den Farben Englands.

„Wo soll ich sitzen“, fragt sie. Zur Auswahl stehen Ledercouch oder Sessel. Couch natürlich. Sie: „Ist dir das nicht zu nah?“ Nein, deshalb sind wir ja hier. Wollen uns aus der Nähe überzeugen, was hier gerade passiert im aufregenden Leben unserer Lieblingsmusikfernsehenmoderatorin. Ab Montag moderiert Charlotte Roche – neben ihrer täglichen Sendung „Fast Forward“ bei Viva – eine neue wöchentliche Interviewsendung auf Pro 7.

Wechsel zu einem größeren Sender sind gefährlich, sehr gefährlich – wie das Beispiel von Barbara Schöneberger zeigt. Die kam von einem Ballungsraumsender, sollte das ZDF „verjüngen“ – und ging mit Pauken und Trompeten unter. Aber vielleicht ist Charlotte Roche auch einfach cleverer. Vielleicht sprechen wir hier gerade mit einer der zukünftig mächtigsten Frauen im deutschen Mediengeschäft. Für die neue Sendung hat sie zusammen mit „Brainpool“ die Produktionsgesellschaft „Ponani Enterprises“ gegründet. 50 Prozent gehören Miss Roche selbst.

Es wird stilles Wasser in Gläser geschenkt. Wir essen M&Ms. Worin wird sich „Charlotte Roche trifft …“ von „Bettina Böttinger trifft …“ unterscheiden? „Ich werde keine Fragenzettel forsch abklappern. Wenn Sie sich aussuchen könnten, Fisch oder Bulle, was wären Sie lieber?“

Alles soll so bleiben wie bei „Fast Forward“. Nur größer. Eine Stunde reines Interview. Anke Engelke, Quentin Tarantino, die Ärzte, Wolfgang Joop und so weiter. Ihre Nummer ist die des kleinen Mädchens. So sitzt sie im Studio, die Beine verknotet, Finger in der Nase, Finger im Ohr, Finger zwischen den Zehen. Dann kommen Größen wie Mick Jagger oder David Bowie vorbei und freuen sich, weil sie glauben, gleich ein kleines Mädchen in der Pfeife rauchen zu können: „Das kleine Würmchen lassen wir jetzt mal kommen, denken die. Aber das ist super und mir am liebsten.“

Porno im Kopf

Genau das ist es dann meistens auch: super. Zum Beispiel, wenn sie Robbie Williams unterstellt, er würde sein eigenes Sperma trinken – noch bevor sie eine ernste Frage zum neuen Album gestellt hat. Und man freut sich einfach daran, dass auch schlüpfrige Themen wie der Spaß an Körperflüssigkeiten Platz hat in ihrem Kopf. Dass sie Black-Emmanuel-Filme mag oder lustige Geschichten über Rocco Siffredi erzählen kann: „Es heißt, Rocco muss im Gegensatz zu allen anderen Pornodarstellern keine Eier essen, um sein Sperma weißer zu machen. Es kommt einfach aus ihm heraus.“

Jetzt fallen die Stichworte Splatterfilm, schlechtes Koks, das Dünnschiss macht, Afghanenhund von Barbie, Diego Maradona und Katheter. Macht tierisch Spaß, sich mit Charlotte Roche zu unterhalten, auch als Nicht-Rockstar. Warum? Vielleicht ist die einfachste Antwort die beste. Weil sie kleine Brüste hat und stolz darauf ist. Sicherstes Indiz für tolle Mädchen.

Wie war wohl die Jugend einer Frau, die von Pro 7 für ihre Jugendlichkeit eingekauft worden ist? „Ich dachte, ich bin die Einzige auf der Welt, die wirklich merkt, dass das Leben keinen Sinn macht. Dass die Erde ganz klein ist und wir alle Würmer sind. Ernsthaft, meine Pubertät war schlimm, sehr schlimm.“ Ernst klingt sie auch. Aber dann erzählt sie sofort wieder eine lustige Anekdote. Sie handelt von Regenwürmern, die sie in Mönchengladbach-Reydt, wo sie aufwuchs, auf dem Nachhauseweg von der Rockdisco aß.

Bei allem Spaß sitzt hier auf der Ledercouch auch eine ambitionierte Frau, die Sandra Maischberger als Vorbild nennt. Die sagt, dass sie Anke Engelke bewundere, weil ihre Arbeit „sehr politisch“ sei. Und man überlegt sich, ob es wirklich so toll ist, dass sie jetzt die Ärzte und Wolfgang Joop, die sie schon öfter gesprochen hat, noch einmal für Pro 7 interviewt. Rocco Siffredi für Pro 7 wäre doch viel toller.

Auf einmal erinnert man sich, dass sie sich in anderen Interviews selbst als „Credibility-Werkzeug“ bezeichnet hat. Wir wollen wissen, ob sie älter wird, ruhiger, und damit leider auch, Entschuldigung, langweiliger? „Als ich neu war bei Viva, war es wild. Ich träume heute noch von Filmrissen, Kotzen in der Öffentlichkeit und Schlägereien. Inzwischen habe ich aber eine Tochter, Polly. Sie ist von morgens bis abends topfit. Sitze ich dann verkatert da, fühle ich mich dreckig und habe Angst ihr nicht gerecht zu werden.“

Genau, Grace Roche ist jetzt Mutter. Bis in den siebten Monat trug sie ihren Babybauch stolz ins Studio und moderierte einfach weiter. Man erinnert sich, dass das Leben von Charlotte Roche im letzten Jahr einem bösen Taifun glich. Ärger hatte sie mit Berichten in Boulevardzeitungen über den Unfalltod ihrer drei Stiefbrüder, die auf dem Weg zu Charlottes Hochzeit waren.

„Das war ganz brutal und ganz schlimm. Das sind meine größten Feinde. Bild-Mitarbeiter machen Geld damit, andere Menschen zu verletzen. Dabei tun sie so, als seien sie Journalisten und müssten über einen Unfall in der Familie einer Moderatorin berichten. Ich finde aber, das geht niemand etwas an, außer ich rede darüber. Das ist kein Journalismus, das ist Blutgafferei.“

Bilder aus Blut

Die Wunde ist groß und für manches reicht auch das größte Pflaster nicht. Im Herbst 2003 steht neben dem verrückt lustigen Fernsehmädchen Charlotte Grace Roche eine ernstere, verantwortungsbewusste junge Mutter. Eine Frau, die man fragen kann, ob sie an einen Himmel glaubt: „Ich glaube auch nicht, dass es eine Seele gibt. Ich glaube, wir sind nichts anderes, als wir selbst. Wir sind Insekten.“ Dann klopft sie sich auf die Vene in der Armbeuge und erzählt, wie sie sich als junges Mädchen Blut abgezapft und damit rote Bilder gemalt hat. „Ich hab sie verschenkt, aber niemand hat sich gefreut.“

Zum Schluss will sie noch etwas loswerden, es ist ihr wichtig, und vielleicht soll die feste Überzeugung in ihrer Stimme die eigenen Zweifel überspielen: „Ich werde bei Pro 7 genau das Gleiche machen wie bei ‚Fast Forward‘. Und ich werde mich nicht ändern, weil ich darauf noch viel mehr achte als du.“