Humor als Waffe und Haltung

Der integre Fritz Teufel hat viel überstanden. Auch die erste, von Marco Carini schwach geschriebene Biografie kann er verschmerzen

Als wenn die Welt voll Teufel wär: Das Einprügeln auf die 68er und alle, die man vorher zu 68ern erklärt, ist seit 1989 ein Volkssport mit Zulauf. Menschen, die ihren Abscheu gegen alles Linke, weil angeblich automatisch Stalinistische, gar nicht oft und laut genug äußern können, ergehen sich in Ritualen stalinistischer Schauprozesse und suhlen sich unappetitlich in Selbstbezichtigungen: Der Spiegel-Autor Reinhard Mohr, der nach eigener Auskunft aus reiner Mitläuferei einst mit modischer Staatsfeindschaft kokettierte, ist sich treu geblieben und hat das Mitlaufen perfektioniert. Wie wenn er irgendetwas Erwähnenswertes getan hätte, schlägt er sich in Selbstanklage vor die Brust und beteuert alle paar Wochen, wie leid es ihm tue, dass er angeblich einmal weniger angepasst war als heute.

Das ist öde und intellektuell armselig, passt aber in die Zeitläufte. In der Zeit schlägt Jörg Lau gegen Günter Wallraff einen Ton an, wie ihn kein Nazi in Deutschland sich von ihm anhören müsste; dass Wallraff von der Stasi observiert wurde, reicht aus, ihn zum Stasi-Schurken zu stempeln. Die künstliche Empörung des Anklägers Lau hat einen so ranzigen Sound, als sei ihr Autor nicht Ende 30, sondern Konrad Adenauer und mindestens 100 Jahre alt.

Im Merkur, der Gleichschaltungsstelle für deutsche Halbintellektuelle, schenkt Familie Rechtsdrall die Parole „Kapitalismus oder Barbarei“ aus; wer nicht als Jubelperser den herrschenden Verhältnissen applaudiert, steht unter dem Generalverdacht, ein gemeingefährlicher Spinner zu sein, der unter Quarantäne gestellt gehört. Zum Kartell des wild um sich schlagenden deutschen McCarthyismus gehört auch Hubertus Knabe, der mit dem Wahn hausieren geht, die 68er und alle Linken in der Bundesrepublik seien komplett von der Stasi gesteuert und bezahlt worden. Den rechten Denunziantentruppen ist jedes Mittel billig – bald werden sie beweisen, dass sogar Gerhard Schröders asoziale SPD in Wahrheit eine kommunistische Tarnorganisation ist.

In diesem politischen Klima erscheint ein Buch über Fritz Teufel, und kurzfristig fürchtet man den Ausguss weiterer Jauche. Wem ließen sich fettige Ressentiments gegen alles Antiautoritäre besser unterschieben als Fritz Teufel? Doch sein Biograf Marco Carini hat erfreulicherweise nicht vor, Teufel zum linken Bösebold umzustricken. Carini sympathisiert ganz offen mit dem Gegenstand seines Buches, den er zur aktiven Mitarbeit allerdings nicht gewinnen konnte. So werden keine Geheimnisse enthüllt und keine Rätsel gelüftet; auf die Angabe seiner Quellen hat Carini vollständig verzichtet. Ein großer Stilist ist er auch nicht, mit der guten, alten Regel Subjekt – Prädikat – Objekt steht er auf Kriegsfuß, und im Vorwort raunt Carini leider auch pathetisch von einem „Anliegen dieses Buches und seines Autors“. Anliegen ist ein anderes Wort für Soße. Immerhin aber hat er als Erster ein Leben aufgezeichnet, das ein Antidot war und ist gegen den trostlosen autoritär fixierten deutschen Charakter.

1963 kommt Fritz Teufel aus Schwaben nach Westberlin; seine Mutter nennt das „Entsetzen über die Sadismen der Auschwitz-Mörder“ ein „Schlüsselerlebnis für seine Protesthaltung“. SDS, Kommune 1, die „Blues“ sich nennende Subkultur und die Bewegung 2. Juni sind die Stichworte der nächsten Jahre in Teufels Leben. Die deutsche Nachkriegs- und Nachnazi-Gesellschaft kübelt ihren Hass auf alles Abweichende aus; Zentralorgan des Hasses ist Bild, und der Kommunarde Fritz Teufel bietet, gemeinsam mit Rainer Langhans, Rudi Dutschke und anderen eine ideale Projektionsfläche. Teufels Weigerung, geducktes Vegetieren, Gehorchen und andere Nazivorstellungen vom Leben gefälligst zu akzeptieren, wie es Millionen andere doch täglich tun, bringt den Hass der Kleinbürger zum Kochen.

Vor Gericht wird Teufel geradezu notorisch mit Ordnungsstrafen bepflastert, denn er legt seinen Humor auch im Umgang mit der Justiz nicht ab. Teufels lakonische, kluge Bemerkungen werden stets als „Unverschämtheit“ ausgelegt und bestraft; als man ihm einen psychiatrischen Gutachter auf den Hals hetzt, erkundigt er sich, ob nicht „das krankhafte Verhängen von Ordnungsstrafen“ psychiatrietauglich sei. Die selbstentlarvende Antwort des Richters: zwei Tage Ordnungshaft gegen Teufel.

Humor ist eine Waffe, eine Haltung zur Welt. Man gibt sie nicht auf, wenn sie anfängt, etwas zu kosten – das ist das Wesen einer Haltung. Als Teufel aufgefordert wird, sich zu einer der vielen Urteilsverkündungen gegen ihn zu erheben, sagt er: „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient …“ Der Satz ist legendär, und er hat Klasse: Er bringt den geistlosen, autoritären Formalismus der Nachnazijustiz auf den Punkt. Man hat Teufel dafür als „Bürgerschreck“ und als „Politclown“ verharmlost; sein „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient …“ aber ist ein Beitrag zur Zivilisierung des Landes.

Den das Land aber nicht haben wollte: Sechzig Jahre alt ist Fritz Teufel in diesem Jahr geworden, acht davon hat man ihn in den Knast gesteckt. Er lebt zurückgezogen in Berlin, und ganz anders als der esoterische Papagei Rainer Langhans steht er für Medienschlamm und -schischi nicht zur Verfügung. Fritz Teufel ist ein integrer, unpeinlicher Mann. Welcher seiner Weggenossen und Feinde kann das von sich sagen, welcher der heutigen „Links, da stinkt’s“-Propagandaschreier das für sich reklamieren?

Wenn die Konjunkturritter zu Recht vergessen sind, wird Fritz Teufel noch kerzengerade dastehen. Dazu braucht es keinen Helden- und Legendenschnitzer; Fritz Teufel ist erfreulicherweise nicht märtyrertauglich. Eine weniger schwach geschriebene Fritz-Teufel-Biografie als die von Marco Carini allerdings sollte es geben – dass Fritz Teufel sich dafür aber überhaupt interessiert, darf bezweifelt werden.

WIGLAF DROSTE

Marco Carini: Fritz Teufel. Wenn’s der Wahrheitsfindung dient, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2003, 248 Seiten, 15 Euro