Gestern London, morgen die Welt

Ist Britpop auch nur eine Sparte der Weltmusik? Und wie nah liegt das eigentlich am Reggae? Blur präsentieren sich zum Auftakt der Deutschlandtour mit Fernsehsenderunterstützung in Berlin – ein exotisch abgemischter, unter bandhistorischen Gesichtspunkten aber immerhin erhellender Auftritt

von HARALD PETERS

Damon Albarn konnte nichts falsch machen. Selbst wenn er an den richtigen Tönen vorbeisang, die Arme messianisch zur Decke reckte oder summenderweise das gefürchte „Ohhhmmmm“ anstimmte – das Publikum, das sich am Montagabend im Berliner Tempodrom zahlreich eingefunden hatte, war fest entschlossen, ihn als Helden des Abends zu feiern. Und tatsächlich wirkte er bei diesem vom Fernsehsender Arte aufgezeichneten Tourauftakt einfach nett. Er schüttelte Hände, winkte und hatte ständig sein beliebtes Damon-Albarn-Lächeln parat. Während die jahrelang praktizierte Trunksucht seinem Kollegen Alex James, dem vormals recht hübschen Bassisten der Band, einen strammen Bauch verpasst hatte, der sich von Minute zu Minute weiter aufzublähen schien, machte Damon Albarn eine rundum gute Figur. Es machte Spaß, ihm zuzuschauen, nur zuhören mochte man ihm leider nicht.

Das lag nun weniger an Albarn und seinen Kollegen als vielmehr an der grässlichen Akustik des noch grässlicheren Tempodroms und an dem beklagenswerten Unvermögen des zuständigen Tontechnikers. Folglich klang der dreiköpfige Gospelchor, als würde er schreien, und das Bassspiel war vor allem als dumpfes Brummen wahrzunehmen. Dass der namentlich unbekannte Gitarrist, den Blur seit dem Ausstieg von Graham Coxon zu ihrer Live-Besetzung zählen, überdies einige Lieder noch nicht einwandfrei beherrscht, machte den Vortrag nicht besser.

Unter bandhistorischen Aspekten war das Konzert aber immerhin erhellend. Man erlebte eine Band im Umbruch. Weil Blur ihr letztes Album zu Teilen in Marokko einspielten und zu diesem Zweck ortsansässige Streichorchester ins Studio zwängten, hieß es, dass Blur nunmehr von weltmusikalischen Interessen beseelt seien, auch wenn man diese auf dem „Think Tank“ betitelten Werk kaum vernahm. All die exotischen Instrumente wurden mit viel Fingerspitzengefühl in den Hintergrund gemischt, sodass man kaum sagen konnte, ob es sich dabei nun um nordafrikanische Blasmusik handelte oder die Geräusche aus dem Computer kamen. Auch beim Konzert war nur wenig von offensichtlichem Exotismus zu spüren. Zwar winkte Albarn bei „Tender“ seinen Gospelchor in die erste Reihe, um sich einen Paul-Simon-Moment zu gönnen, doch auch dabei blieben Blur im Rahmen.

Der weltmusikalische Einschlag kam denn auch nur bei den älteren Stücken zum Tragen. Denn wenn der Begriff Weltmusik die jeweils musikalischen Eigenheiten einer näher zu bestimmenden Region beschreibt, dann muss man Britpop neben Reggae wohl zu einer der erfolgreichsten Weltmusik-Spielarten zählen, die in Blur ihre ehemals konsequentesten Vertreter fand. Doch von so verstandenen weltmusikalischen Ambitionen haben sich Blur von Album zu Album entfernt. Hatten sie mit ihrem Debüt „Leisure“ vor allem London im Blick, so war es bei den folgenden Platten „Modern Life Is Rubbish“, „Parklife“ und „The Great Escape“ in erster Linie England. Mit dem namenlosen fünften Album veröffentlichten sie sozusagen ihr erstes internationales Werk und zeigten sich mit Anleihen von Sonic Youth bis Beck überraschend von amerikanischer Musik inspiriert. Auf „13“ wurde dann schon gegospelt, sodass auf „Think Tank“ die Entdeckung Nordafrikas nach der Entdeckung Nordamerikas irgendwie nur folgerichtig erscheint.

Allerdings hätte man all das viel lieber bei guter Akustik realisiert. Aber vielleicht sieht das im Fernsehen ja zumindest gut aus.

Ausstrahlung: 11. 11., 23.30 Uhr, Arte