Mutti war die Beste!

Im zarten Alter von 50 Jahren dehnt sich die deutsche Familienpolitik von der reinen Mutti-Förderung erstmals auch auf die Kinder aus. Noch 50 Jahre, und sie entdeckt auch noch den Vati. Ein Glückwunsch zum heutigen 50sten

von HEIDE OESTREICH

„Herr Wuermeling, wir danken dir“, im gemischten Kinderchor gesprochen – das ist die erste Assoziation, wenn man die Worte Familienpolitik und Geschichte ins Gedächtnis-Google eingibt. Der Karnickelpass (halber Bahnpreis für kinderreiche Familien) und das Kindergeld, das waren die ersten Wohltaten des nagelneuen Politikfeldes von Franz-Josef Wuermeling, erster Familienminister Deutschlands überhaupt.

Natürlich gab es diesen Kinderchor à la Loriot gar nicht – aber es hätte ihn geben können, so dankbar waren unsere kriegserschütterten und -gestählten Mütter für die Familiengabe der Herren Adenauer und Wuermeling, der eine übrigens mit sieben Kindern gesegnet, der andere mit fünfen.

Der nicht ganz zu übersehende Umstand, dass es in der Haushaltskasse oft trüb aussieht, wenn nur einer fürs Familieneinkommen arbeitet, ist der rote Faden in der Geschichte der deutschen Familienpolitik und ihres Ministeriums, das heute vor 50 Jahren gegründet wurde.

Daraus zogen aber in Westdeutschland immer nur suspekte Minderheiten den Schluss, dass die zweite Arbeitskraft der Familie irgendwie zu einem ordentlichen Gehalt kommen sollte. Ganz Wagemutige forderten Lohn für Haus- und Betreuungsarbeit. In den Siebzigern tauchte dann der verwegene Gedanke auf, dass Frauen ja auch mal voll erwerbstätig sein könnten, in richtigen Berufen! Aber pfui, das ist ja wie im Osten. Keine der beiden Ideen konnte sich im Westen durchsetzen. Denn die deutsche Familienpolitik war und ist Muttipolitik.

Die Mutti war nämlich ganz froh, dass sie nicht mehr in den merkwürdigen Männerberufen arbeiten musste, in die die letzten Kriegsjahre sie gezwungen hatte. Jetzt konnte sie wieder ganz für uns da sein, die Kinder. Und der Weststaat fand das auch ganz in Ordnung und pflegte diese Ordnung mit dem Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz und mit kleinen Geldgeschenken: Ehegattensplitting, Erziehungsgeld, Kindergeld, Steuerfreibeträge wurden eingeführt, abgeschafft, wieder neu eingeführt und erhöht.

Eins hatten und haben sie alle gemeinsam: Sie waren nie ein adäquates Einkommen für die Arbeit, die der reproduzierende Teil der Familie leistete. Würde man allein die Haus- und Kinderarbeit der Muttis mit einem Hauswirtschafterinnenlohn vergüten, so käme sie auf ein Zusatzgehalt von 700 bis 800 Euro, hat das Statistische Bundesamt mal errechnet. Die Reproduktivkraft aber war – mit kurzzeitigen Ausfällen radikaler Elemente in den Siebzigern – immer bescheiden genug, ein solches Einkommen nicht zu fordern. Sie war ganz zufrieden mit der Rolle, die Dr. Oetker und Meister Proper ihr zugedacht hatten. Dabei hatten die Hausarbeiterinnen alles in der Hand. Sie waren eindeutig in der Überzahl: 70 Prozent der Wahlberechtigten waren zu Adenauers Zeiten Frauen. Tja.

Nie beachteter Mittäter der Muttipolitik war und ist natürlich Vati. Vati nimmt es auf sich, allein den Doppelverdiener zu spielen, Deutschland aufzubauen, keine Zeit zu haben und vorzeitig einem Herzinfarkt zu erliegen. Und er nimmt es auf sich, dass Mutti ihn manchmal abends mit so merkwürdig leerem Blick ansieht. Ein bisschen nörgelig ist, mehr Geld braucht und einen Schlappschwanz geheiratet hat. Das noch nicht abgezahlte Haus mit Makramee, Seidenmalerei und Blumengebinden verhängt. Wahlweise unendlich müde oder ein bisschen hysterisch wird. Ja, auch Papi war bescheiden und hat sich nur indirekt gewehrt gegen die Muttipolitik, mit einer Geliebten im Büro oder so.

Jetzt muss man aber gerechterweise endlich mal die DDR würdigen. Die DDR hatte das Geldproblem für Familien nicht in diesem Ausmaß. Denn die Frauen waren nicht nur Frauen, sondern Produktivkräfte. Davon gab es vor allem viel zu wenige. Außerdem konnte man die Tatsache, dass man die Frauen auf dem Arbeitsmarkt braucht, noch prima als Emanzipation verkaufen. Frauen und Männer waren gleich in der DDR. Fast jedenfalls.

Denn da waren ja noch die Kinder.

Die sollten zwar in Betreuungseinrichtungen, die stallähnliche Namen trugen, verwahrt werden, aber ziemlich lange hatte sogar die DDR zu wenige davon. Erst als die Frauen entsetzlicherweise Teilzeitarbeitsplätze forderten und die Geburtenrate sinkende Produktivität im Heimsektor anzeigte, wurde nachgelegt. Und: Kinder machen trotzdem noch Arbeit.

Hier sind wir bei der Muttipolitik made in GDR angelangt. Mütter bekamen Sonderurlaube für kranke Kinder, einen Haushaltstag, eine verkürzte Wochenarbeitszeit, ein Babyjahr – immerhin mit vollem Lohnausgleich. Väter bekamen nichts. Und zwar lange Zeit. Mitte der Achtziger durften die ersten wenigen Väter das Babyjahr beantragen. Mütter hatten also zwei Berufe und waren dementsprechend auch in der DDR unterbezahlt. Tja.

Dennoch waren die DDR-Muttis unfreiwillige Avantgarde. Sie haben mit ihrem 70er-Jahre-Gebärstreik einen Staat, der auf ihre Kinder und ihre Arbeitskraft angewiesen war, gedrängt, ihnen die unbezahlte Betreuungsarbeit abzunehmen.

Dem Westen – und nach dem Rückbau der DDR auch Gesamtdeutschland – steht diese Entwicklung nun bevor. Das Problem der Schrumpfbevölkerung und ihrer Auswirkungen auf ihre Sozialpolitik hat die Politik gerade erst zur Kenntnis genommen. Dass sie bald auch Frauen jenseits der Teilzeitmutti auf dem Arbeitsmarkt braucht, ist überhaupt noch nicht angekommen.

Waaaas? Wo uns doch überall die Karrierefrauen entgegenblitzen, AngelaSabineMaybrittLizundUlla? He-ra-lind?

Die Westmami heute

BrigitteAmicaAllegra neben Sextipps und Kochanleitungen auch „wie überlebe ich Karrierestress“ und „die 10 fiesesten Tricks fürs Büro“ oder „die praktische Business-Kombination für die Geschäftsreise“ verkauft.

Ja, genau, neben Deko- und Kochanleitungen. Denn fürs Basteln und Betüteln hat die deutsche Mutti immer noch Zeit. 66,6 Prozent der Westmamis nämlich arbeiten Teilzeit.

Hier setzt sich noch munter die westdeutsche Tradition fort: Erziehungsurlaub, den sich nur Mütter leisten können, noch ein bisschen mehr Kindergeld, noch eine Steuererleichterung. In der neuesten Hartz-Arbeitsmarktpolitik werden Teilzeit- und Minijobs für Frauen geradezu propagiert. Und die Muttis danken es nach wie vor: Im Westen möchten nur knapp sechs Prozent der Frauen mit Kindern Vollzeit arbeiten. Das liegt auch daran, dass sie keine Kinderbetreuung haben. Das Sein der Kita bestimmt hier das Bewusstsein: Im Osten wollen, obwohl die Arbeitsmarktlage desolat ist, immerhin noch 20 Prozent der Mütter voll berufstätig sein, denn sie wissen ihre Kinder untergebracht.

Die Muttipolitik hat ihre besten Jahre hinter sich. Man merkt es noch nicht gleich, noch sind die Arbeitslosenzahlen zu hoch. Aber das schrumpfende Angebot an zukünftigen Fachkräften hat weitblickende Unternehmen jetzt schon alarmiert. Familienfreundlichkeit kommt langsam in Mode. Die Muttis, die immer so dankbar und harmlos daher kamen, haben es allen gezeigt: Sie haben die Arbeitskräfte derart verknappt, auf dass sie auf dem Arbeitsmarkt unverzichtbar geworden sind. Jetzt muss die Reservearmee ran.

Die Familienpolitik beginnt in diesem Jahr zum ersten Mal, das nicht nur zu kapieren und in Sonntagsreden zu problematisieren. Um die Ehre einzelner MinisterInnen wie Ursula Lehr, Rita Süssmuth oder Christine Bergmann zu retten: Sie haben es immer gewollt, wurden aber ausgebremst. Heute fängt auch die faktische Familienpolitik zaghaft an, die Kinder in der Familie nicht nur als Anhängsel der Mutti wahrzunehmen und ihnen etwas zu bauen, das sie hoffentlich nicht wieder mit stallähnlichen Ausdrücken belegt.

Und wenn wir noch 50 Jahre warten, dann wird sie vielleicht sogar begriffen haben, dass Familien auch Vatis haben. Glückwunsch.