Das Gesetz ist in der Kiste

Wahltag auf einer iranischen Insel: Babak Payamis Spielfilm „Geheime Wahl“ ist ein grotesker Wüstentrip

Dass der US-amerikanische Präsident seinen Stab anhand von iranischem Arthouse-Kino über zukünftige Interventionsgebiete aufklärt, hat diese Welt nicht besser gemacht. Mohsen Makhmalbafs „Kandahar“ diente George W. Bush vor zwei Jahren als praktisches Anschauungsmaterial für den Afghanistan-Feldzug. Babak Payamis „Geheime Wahl“ wäre ein guter Kandidat für eine zweite Lektion – dieses Mal vor der eigenen Haustür. Denn als der Film in Produktion ging, fand in Florida gerade jene Wahlauszählung statt, die die US-amerikanische Demokratie zum damaligen Zeitpunkt auch nicht mehr erschüttern konnte.

Man kann Payamis Film als Replik auf das Demokratisierungsgebaren des Westens lesen. Am Wahltag landet eine junge Regierungsbeamtin in der Wüstenlandschaft der Insel Kish, um den Bewohnern der iranischen Provinz die Vorzüge dieser großen westlichen Errungenschaft nahe zu bringen. Ein Soldat ist abgestellt worden, sie zu begleiten. Manche Wählerstimmen müssen tatsächlich vom Jeep aus „eingefangen“ werden, was durchaus komisch anmutet. Der schwer bewaffnete Soldat, dem die Hand etwas zu locker am Abzug sitzt, führt in „Geheime Wahl“ das Ideal einer freien Wahl schon im Ansatz ad absurdum.

Aber die junge Frau hat ihre Instruktionspapiere sorgfältig studiert. Die Reaktionen der Menschen, der potenziellen Wähler, denen sie auf ihrem Wüstentrip begegnet, sind von entwaffnender Logik („Wählen fängt mir keine Fische“), ebenso frappierend sind die Lehrbuchantworten, mit denen sie Landarbeiter und Fischer missioniert: „Das Gesetz ist in der Kiste.“

Payami hält seinen Film bewusst einfach; so einfach, wie ein Film, der in der Wüste spielt, nur sein kann. „Geheime Wahl“ beginnt wie ein naives Märchen vom großen Traum demokratischer Selbstbestimmung, wandelt sich zur Farce und endet schließlich mit einer sprachlosen Liebeserklärung – auf einem Wahlzettel. Im verspielten Konflikt zwischen dem raubeinigen Soldaten und der modernen Großstädterin drückt sich aber auch das Unverständnis der Provinz für die Errungenschaften des Fortschritts aus.

Die Widersprüche legen den grotesken Kern der Story frei: die Idee demokratischer Wahlen an sich. Wahlen scheint diese Gegend so wenig zu brauchen wie die Ampel, die mitten im Nichts aufgestellt ist. „Wahlen,“ erklärt die Frau einem Bauern, „können Ihnen ein Wassersystem bringen.“ Doch ihr Gegenüber spricht nicht einmal ihre Sprache. Trotzdem scheint das Leben hier zu funktionieren: „Granny Baghoo braucht nicht zu wählen“, erkennt die Frau später, „sie hat ihre eigene Regierung.“

Der Import westlicher Werte gehörte zur amerikanischen Kriegsrhetorik sowohl beim Einmarsch in Afghanistan als auch in den Irak. Der Sprachduktus bediente sich in beiden Fällen ganz unverblümt beim Jargon der Wirtschaftspolitik; der Traum der Befreier ist, so erzählten amerikanische Regierungssprecher in Interviews immer wieder, eine große Freihandelszone im Nahen und Mittleren Osten. Denn nur die Befreiung durch den Kapitalismus mache die Menschen zu glücklichen Menschen – und nicht zu Terroristen. Es ist ein ironischer Wink Payamis, dass die Insel Kish, auf der „Geheime Wahl“ spielt, 1993 von der iranischen Regierung zur Freihandelszone erklärt wurde.

Manchmal kann Payami die junge Regierungsbeamtin nicht ganz ernst nehmen, wenn sie mit missionarischem Eifer das demokratische Ritual der Wahl am Volk zu praktizieren versucht („Sie kennen die Nominierten nicht? Wählen Sie einfach irgendwen!“). Der Ingenieur einer Solarstation schließlich erklärt ihr, dass er nur Gott den Allmächtigen kenne. „Wenn ich jemandem meine Stimme gebe, dann Gott.“ Dagegen kann keine Ratio etwas einwenden. Am Ende scheint es fast, als gäbe es im Iran genug gute Gründe, nicht zur Wahl zu gehen. Vielleicht mehr noch als in einer westlichen Demokratie. ANDREAS BUSCHE

„Geheime Wahl“. Regie: Babak Payami. Mit Nassim Abdi, Cyrus Abidi u. a. Iran 2001, 105 Min.