Der Bauch des Astronauten

Nach 25 Jahren Grusel und Diskurs bringt Ridley Scott seinen Sci-Fi-Thriller „Alien“ als Director’s Cut mit Zusatzszenen zurück ins Kino. Auch in Zeiten von DVDs und ausuferndem Bonusmaterial hat der Film nichts an Magie verloren – schon wegen der wachsam gespitzten Lippen von Sigourney Weaver

Der Popmythos von „Alien“ gilt nur mehr als ein Fetisch unter vielen

von HARALD FRICKE

Mit dem Schweizer Grafiker Hans Rudi Giger hatte niemand mehr gerechnet. Ende der Siebzigerjahre waren seine surrealen Frauenakte aus der Mode gekommen. Wer wollte sich den weiblichen Körper schon noch an Schläuche und allerlei andere Fortsätze angeschlossen vorstellen, als stumme Wunschmaschine des männlichen Begehrens? Solche Fantasien – halb Dornröschen, halb Homunkulus – gehörten zum Repertoire einer Bildwelt, die zu den Schallplattencovern von Rocksauriern wie Emerson Lake & Palmer passte.

Ridley Scott hat es trotzdem gewagt und HR Giger den Auftrag für das Design des außerirdischen Wesens zu seinem 1979 gestarteten Film „Alien“ gegeben. Das Ergebnis hat seither mehrere Generationen von diskurswilligen Science-Fiction- und Feminismusexegeten beschäftigt. Ist das Monstrum überhaupt feminin? Sieht das Andere aus wie ein in Latex gegossenes SM-Phantom? Wie viele Zahnreihen hat das Grauen? Und wie wird man es wieder los?

Dabei war 1979 für „Alien“ die Zielgruppe außerhalb einer Fangemeinde von Mitternacht-Movies eher unklar. Der Film startete in den USA in derselben Woche wie David Cronenbergs „Die Brut“, in dem eine Frau den Hass auf ihren Ehemann dadurch kompensiert, dass sie unentwegt deformierte Kinder gebiert. Offenbar schienen sich zumindest Psycho- und Biopolitik gut zu ergänzen als Nachwehen von antiautoritärer Erziehung und Frauenbewegung. Der Feind im Innern, der Virus from outer space – solche Symbole entsprachen der fortschreitenden Entfremdung auf technisch hohem Niveau.

An diesen Mutmaßungen hat sich 25 Jahre später nicht viel geändert. Obwohl es „Alien“ inzwischen in vierfacher Ausführung gibt, wobei das Grundschema – außerirdisches Leben frisst sich durch diverse Menschenansammlungen – nur unwesentlich variiert. Und obwohl Ridley Scott den Film jetzt im Director’s Cut zurück auf die Kinoleinwand gebracht hat, weil ihm die Logik der ursprünglichen Handlung nicht länger genügte. So wurde eine damals verworfene Szene in das digital restaurierte Original montiert, die zeigt, wie das Alien seine Opfer in Kokons eingesponnen hat – als Nahrung für den Nachwuchs, der in von der Bestie gelegten Eiern heranreift. Das schafft den missing link zu späteren Verfilmungen, in denen ständig „Alien“-Nester vernichtet werden müssen. Gleichwohl ist der Director’s Cut zu „Alien“ eine manieristische Angelegenheit. Das Recht auf den letzten Schnitt hatte Scott sich bereits für „Blade Runner“ erstritten, sodass die Fassung von 1993 auf den versöhnlichen Schluss verzichtete. Das war ein Glücksfall für ein Kino, das sich nicht dem aufgezwungenen Happyend durch die Studios beugen wollte.

Mittlerweile ist der Director’s Cut jedoch Standard geworden, ein editorisches Muss in Zeiten des Bonusmaterials: keine DVD ohne zusätzliche Szenen, keine Wiederveröffentlichung ohne irgendein Gimmick, das beim ursprünglichen Kinostart nur gestört hätte. Die Akribie, mit der sich die Filmindustrie nun auf das Unwesentliche stürzt und jede nebensächliche Nuance als sehphilosophische Bewusstseinserweiterung hervorhebt, sagt selbst einiges über den Verlust des letzten Rests an Einzigartigkeit: Sogar ein liebevoll durchgearbeiteter Popmythos wie „Alien“ gilt dabei kaum mehr als ein Fetisch unter vielen.

Auch Scott kennt die Fragwürdigkeit seines Neuschnitts. In Interviews erklärt er freimütig, dass er 1979 bewusst auf die „Nest“-Szene verzichtet habe, weil sie das Tempo des 17 Minuten langen Showdowns gedrosselt hätte. Dass man trotz des Einschubs keinen Moment an Spannung verliert, spricht andererseits für die ungebrochene Magie des Films. Noch immer weiten sich die Augen, wenn man von der ballettartig schwebenden Kamera Derek Vanlints geleitet durch das Raumschiff der Außerirdischen steigt. Vor allem ist es Sigourney Weaver, deren Ikonenhaftigkeit mit der Zeit nichts eingebüßt hat: Wie sie als Sicherheitsoffizier Ripley hellwach im Blick und mit gespitzten Lippen kaum merklich die Kontrolle über das Raumschiff gewinnt, während die Crew vom Alien dezimiert wird; und wie sich in ihre Unsicherheit immer mehr die Gewissheit mischt, dass sie gegen das Böse nur durch Identifikation mit dem Anderen überleben kann – bis hin zum Finale im Schlüpfer.

Letztlich sind es im digital remasterten Director’s Cut die bekannten Bilder, über deren Feinschliff sich nicht bloß der Nerd freut. Jetzt kann man genau sehen, dass das Alien, das sich in der schmerzensreichsten Szene der Filmgeschichte aus dem Bauch von William Hurt blutig seinen Weg bohrt, Zähne aus glänzendem Chrom besitzt. Vielleicht als Schutz gegen körpereigene Säure, ganz sicher aus Freude am Detail seines schwermetallverliebten Schöpfers Giger.

„Alien – Director’s Cut“. Regie: Ridley Scott. Mit Sigourney Weaver, Yaphet Kotto, Harry Dean Stanton u. a. USA 1979, 118 Min.