Der Reformator

Martin Luther ist ein zerrissener und zweifelnder Held mit Sex-Appeal. Jedenfalls im Film „Luther“ – konzipiert zum Wohle der evangelischen Kirche und der mitteldeutschen Region zwischen Eisenach und Wittenberg. Hollywood-Star Joseph Fiennes soll den Protestantismus sinnlich machen. Der Film startet nächste Woche – am Reformationstag

Luther hat eine große Besetzung: Joseph Fiennes, Bruno Ganz, Peter Ustinov

von EDITH KRESTA

Die Augen sind es. Sie nehmen sofort ein für diesen schmalen Jüngling mit der sanften Seele in Eric Tills Film „Luther“. Diese Augen strahlen. Inbrünstig. Mit Tiefenwirkung. Bislang stellte man sich den großen Reformator Martin Luther nicht gerade als Superstar vor: deftige Tischsprüche, ein Judenhetzer, mönchische Strenge, nichtsdestotrotz den sinnlichen Genüssen derb zugeneigt und wohl aus diesem Grunde zumindest in späteren Jahren recht beleibt.

Dieses Bild wird sich nun ändern. Der Regisseur Eric Till („Bonhoeffer – die letzte Stufe“) zeichnet es weich. Er stellt uns den widerständigen Held in seinem neuen Film „Luther“ als einfühlsamen, sensiblen Schönling vor. Joseph Fiennes, bekannt durch „Shakespeare in Love“, spielt den Revoluzzer wider Willen mit dem brennenden Blick eines Liebhabers. Wer fürderhin bei Protestantismus an strenge, verkniffene Tugendwächter denkt, ist selber schuld. Luther im Film jedenfalls ist ein zerrissener und zweifelnder Held mit Sex-Appeal.

Die 20 Millionen Dollar teure deutsch-amerikanische Produktion ist bereits in den USA angelaufen. Von dort soll sie die Welt erobern. „Das gab es bisher nicht, dass ein deutscher Film in den USA Welturaufführung hatte“, sagt Mikel Riemenschneider, Marketing-Zuständiger, auf einer Pressekonferenz in Erfurt. Nach zweieinhalb Wochen Laufzeit seien bereits international bekannte deutsche Erfolgstitel wie „Lola rennt“ oder „Das Boot“ in der Besucherzahl übertroffen.

In kirchlichen Gemeinden, Schulen und Tourismusverbänden wird der Film auch in Deutschland beworben. Die Evangelische Kirchengemeinde Deutschlands und das amerikanische Thrivent Financial for Lutherans haben neben anderen die Produktion unterstützt. Sie setzen auf den Mythos Luther zur zeitgemäßen Propagierung ihrer Religion, und diese macht ein Star wie Joseph Fiennes endlich sinnlich.

Und „Luther“, der Film, hat Erfolgs- beziehungsweise Hollywood-Format und eine herausragende Besetzung wie Bruno Ganz als geistlichem Vater Luthers, Johann von Staupitz, und Sir Peter Ustinov als leicht seniler Friedrich der Weise.

Alfred Molina, der eifernde Dominikaner-Mönch Tetzel, hat sich für seine Rolle als katholischer Ablassprediger bei amerikanischen Fundamentalisten geschult. „Ich habe mir die Sendungen der konservativen Prediger im amerikanischen TV angeschaut, ich habe beobachtet, wie sie sprechen und sich bewegen.“ Und wenn es der Film auch mit den historischen Wahrheiten nicht ganz so genau nimmt, an historischen Details – jedes Knopfloch der Kostüme wurde mit der Hand umstochen – und an Originalschauplätzen mangelt es nicht.

Eisenach zum Beispiel. In dieser thüringischen Kleinstadt ging Luther zur Schule, auf der Wartburg hoch droben war er in Schutzhaft und an der Uni Erfurt kam er mit dem Humanismus eines Erasmus in Berührung. In Erfurt trat er dem Augustiner-Orden bei. Das Kloster ist heute Tagungsstätte und Hotel. In der Klosterkirche wurde genauso gedreht wie auf der Wartburg.

Nun erwartet die Region auf den Spuren von Luther neue touristische Höhenflüge. Mit dem Film „Luther“ fällt auf Erfurt, Eisenach und Wittenberg ein historischer Glanz, der diese randständige mittelalterliche Region in den Mittelpunkt des damaligen Weltgeschehens rückt. „Er veränderte die Welt für immer“, so steht es im Untertitel des Films.

Drei Vertreter des Tourismusverbandes sind zum Start des Filmes auf Promotiontour in den USA. DVD und Reiseführer zum Film sollen helfen, wie Manager Riemenschneider sagt, „die Attraktivität Mitteldeutschlands auch einem internationalen Publikum bekannt zu machen“. Das ist Erfolg versprechend. Denn bekanntlich werden aus Drehorten schnell Pilgerstätten, wie die Schwarzwaldklinik und das Glottertal hinlänglich belegen.

Das gelingt vor allem, wenn Emotionen geweckt werden. „Luther“, der Film, rührt an. Wenn Luther die Mutter des verkrüppelten Kindes (Maria Simon) unter seinen Schutz stellt oder wenn er als Junker Jörg verkleidet die zerstörten Dörfer besucht, wo die aufständischen Bauern von den Schergen der Fürsten brutal niedergemetzelt wurden. Und er erzeugt Spannung, wenn der Theologe Luther seinen 95 Thesen vor Kaiser Karl in Worms nicht abschwört und der Zuschauer die Häscher Roms auf seinen Spuren fürchtet. Da bangt jeder Kinobesucher um den mutigen Protestanten.

Der Film lässt keine Legende aus, die sich um die Person Luthers rankt, sei es der Gewittersturm, der ihn zum Klosterleben bekehrte, oder das Tintenfass, mit dem er den Teufel bekämpfte.

Den Tintenfleck in seiner Zelle auf der Wartburg gibt es zwar schon lange nicht mehr und soll es auch nie gegeben haben, aber ein Film ist ein Film und die Fiktion ist allemal die bessere Erzählerin. Es gehe, sagt Regisseur Eric Till, „erst einmal darum, eine Geschichte zu erzählen, möglichst interessant, einzigartig und voller Überraschungen“. Menschliche Szenen, die es so nie gab, machen den Luther im Glaubenskorsett der protestantischen Ethik durch und durch sympathisch, menschlich. Wenn er einen jugendlichen Selbstmörder bestattet, rebelliert er nicht nur gegen das Verbot der Kirche, Selbstmörder kirchlich beizusetzen. Er zeichnet auch einen gütigen Gott.

Den soll er sein Leben lang gesucht haben „Es gibt ja gewissermaßen drei Väter in seinem Leben. Da ist zunächst der leibliche Vater, dann die Beziehung zu Gottvater und schließlich die faszinierende Nähe zu seinem spirituellen Vater von Staupitz. Dieses Thema der biologischen, göttlichen und geistigen Vaterschaft war für mich ein großartiges Element im Drehbuch“, sagte Hauptdarsteller Joseph Fiennes in einem Interview.

Das ist genau der psychologische Stoff, aus dem Hollywood-Erfolge sind. Und dann gibt es ja auch noch Katharina von Bora (Claire Cox), die entlaufene Nonne, angesteckt von den Ideen der Reformation. Sie macht aus dem unruhigen Jüngling einen Ehemann und den Film perfekt.

„Der Luther-Film ist ein glänzender Anlass, mit der Legende Luther so umzugehen, dass man diesen Film zu einem Bildungsereignis und Event macht“, sagt die evangelische Theologieprofessorin Johanna Haberer.

Der Film Luther ist ein Event. Für die protestantische Kirche, die Region und hoffentlich für jeden trockenen Geschichts- und Religionsunterricht: Luthers Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Sprache, die Trennung von staatlicher und kirchlicher Gewalt, die Berufung auf das Gewissen – all dieses erzählt der Film so nebenbei. Das könnte sein Erfolg sein, vor allem bei Gläubigen und Frauen. Mögen Historiker manche Rüge erteilen – auch die Kirche braucht in Zeiten formaler Frömmigkeit lebensnahe Legenden statt lebensfeindlicher Dogmen. Und die schönen Augen eines Joseph Fiennes schaden dem Image Martin Luthers niemals.

„Luther. Er veränderte die Welt für immer“. Ab 31. Oktober im Kino.