Das Mädchen mit der Gitarre

Die Sängerin Souad Massi passt in das urfranzösische Raster der Femme fragile. Der Unterschied:Sie kommt aus Algerien, und ihre Chansons haben einen starken arabisch-andalusischen Touch

In Frankreich hat sie ihr künstlerisches Exil gefunden. Oder in ihrem Kopf

von DANIEL BAX

Wenn schöne Frauen schöne Dinge tun, dann handelt es sich meist um einen französischen Film, ließe sich nach einem berühmten Zitat von François Truffaut sagen. Ähnlich könnte man formulieren: Wenn schöne Frauen von schönen Dingen singen, dann handelt es sich um neuen französischen Chanson-Pop. Denn im Nachbarland prägen ehemalige Schauspielerinnen von Jane Birkin bis Julie Delpy, alterslose Pop-Lolitas von Vanessa Paradis bis Alizée und das Exmodel Carla Bruni die Musikszene.

Auch Souad Massi passt in dieses urfranzösische Raster der ewigen femme fragile. Mit einem Unterschied nur: Souad Massi stammt aus Algerien, und ihre zur akustischen Gitarre vorgetragenen Chansons besitzen einen starken arabisch-andalusischen Touch. „Ich trug diese Musik schon immer in meinem Kopf“, behauptet die Sängerin. „Aber in Algerien hatte ich nicht die Mittel, sie umzusetzen.“ Sagt die Songwriterin und drückt sich dabei etwas unbehaglich in dem beigefarbenen Sessel herum, in dem sie in einem gesichtslosen Berliner Hotelzimmer zum Interviewtermin angereist ist. In solchen Momenten wirkt sie eher wie eine schüchterne Studentin aus dem Maghreb als wie jene charismastische Bühnenperson, die einen ganzen Konzertsaal zu Tränen zu rühren vermag.

Dabei ist genau das ihr Talent. Im Januar 1999 folgte Souad Massi einer Einladung nach Frankreich, um beim Musikfestival „Femmes d’Algérie“ gegen den Krieg in ihrem Land aufzuspielen. An drei Abenden in Folge schlug sie das Publikum mit ihrer subtilen und ausdrucksstarken Art in ihrem Bann, und aus dem einmaligen Engagement wurde ein längerer Aufenthalt. Im Sommer 2001 erschien ihr Albumdebüt „Raoui“, das in Frankreich sehr große Aufmerksamkeit erregte. Ihr neues Album „Deb“ („Mit gebrochenem Herzen“) erscheint nun in ganz Europa.

Eine Aura von Zerbrechlichkeit und tiefer Traurigkeit umgibt die Songs, die sie in melancholischem Arabisch zur akustischen Gitarre vorträgt. „Ich rufe um Hilfe, aber niemand antwortet“ heißt es in der Ballade „Thegri“, während sie zum Uptempo-Flamenco von „Ech Edani“ beklagt: „Ich hätte mich nie in dich verlieben dürfen.“ Manchmal taucht eine Tabla auf, mal gniedelt ein ganzes Streichorchester im Hintergrund. Ein Mannschaft von 21 Musikern war an den Aufnahmen zu „Deb“ beteiligt. Dennoch bleibt die Stimmung auf dem Album intim.

Ihrer Verwurzelung im Folk wegen wurde Souad Massi schon mit vielen anderen weiblichen Songwriterinnen verglichen, von Joni Mitchell bis Tracy Chapman. Dabei hat die algerische Songwriterin längst ihren eigenen, polyglotten Stil entwickelt. Die 31-Jährige hat schließlich schon eine lange Bühnenlaufbahn hinter sich. 1972 in Bab El-Oued, einem Vorort von Algier geboren, standen ihr westliche Musikstile stets näher als die traditionelle Musik des Maghreb. Schon früh griff sie zur Gitarre, um Folksongs und westliche Hits aus dem Radio nachzuspielen. „Ich habe mir aber auch gerne die TV-Sender aus der Türkei angeschaut“, gibt Souad Massi freimütig zu, vergleichbare Musikprogramme gab es damals im Maghreb nicht.

Ihre erste Bühnenerfahrung sammelte Souad Massi zunächst in einer Flamencogruppe. Später sprang sie ihrem Bruder in der Rockband Atakor zur Seite, die im ganzen Land Popularität erlangte. So wundert es nicht, dass ihre Musik auch heute noch wenig gemein hat mit jenem globalisierten Rai-Pop, den seine Stars wie Khaled und Cheb Mami im Ausland berühmt gemacht haben und der Algerien ins musikalische Bewusstsein des Westens gepflanzt hat.

Nebenbei studierte Souad Massi Stadtplanung an der Universität von Algier, und nach ihrem Diplom arbeitete sie in einem Büro für Stadtentwicklung. Als sich die politische Situation in Algerien Ende der Neunzigerjahre durch den blutigen Bürgerkrieg zuspitzte, eine Ausgangssperre das öffentliche Leben lahm legte und es überhaupt zu gefährlich wurde, sich mit dem Gitarrenkoffer durch die Straßen zu wagen, hängte Souad Massi ihr Instrument kurz entschlossen an den Nagel. „Ich habe nur noch für mich selbst gesungen“, sagt Souad Massi rückblickend. Doch diese Entscheidung war glücklicherweise nicht von Dauer.

„Es ist keine Auseinandersetzung zwischen Islamisten und dem Staat“, sagt Souad Massi über den mehr als zehn Jahre schwelenden Bürgerkrieg in ihmer Land. Im Hintergrund würden ganz andere Rechnungen beglichen, gibt sie einen weit verbreiteten Eindruck wieder. „Die Probleme werden geschürt, um von anderen Interessen abzulenken“, glaubt sie. Und: „Der Islamismus ist nicht das größte Problem.“ Obwohl sie in ihrem Jeans-und-T-Shirt-Outfit bei frommen Eiferern nicht gerade auf Gegenliebe stoßen dürfte, sagt sie sogar: „Ich respektiere die Ideologie mancher muslimischer Parteien. Es ist die allgemeine Ungerechtigkeit, die ihnen Zulauf beschert.“

Nun hat sie in Frankreich ihr künstlerisches Exil gefunden. Oder in ihrem Kopf. Denn: „Ich habe mich schon in Algerien wie eine Fremde gefühlt.“ Und in Frankreich erst recht.

Souad Massi: „Deb“ (Island/ Universal)