Lust auf die Lücke

Mit Lust und Luxus gegen die Depression: Heute erscheint das neue Magazin „Dummy“ – ohne Verlag, aber dafür mit hohen Ambitionen

von ARNO FRANK

Eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die schlechte: Kein Geld! Keine Anzeigen! Keine Leser! Die größte Medienkrise seit Journalistengedenken traf die Branche wie ein Vulkanausbruch, ihre Staubwolke ließ ganze Landschaften veröden. Die Berliner Seiten von FAZ und Süddeutscher, Die Woche, jetzt – ach, die ganze Palette ambitionierter Gewächse erstickte unter einer grauen Decke ökonomischer Zwänge. Aber aus der Asche sprießen allmählich wieder die ersten bunten Blüten. Allmählich, nicht zaghaft.

Achtung, Voss, Zoo und Deutsch sind bereits erschienen, heute liegt zum ersten Mal Dummy bundesweit an Kiosken und anderen ausgesuchten Verkaufsstellen (und bei www.dummy-magazin.de). Es ist, wie die illustre Konkurrenz, auch ohne Großverlag im Rücken alles andere als eine Notausgabe. Und es verschreibt sich, anders als die Konkurrenz, gekonnt der Lust an der großen, akribisch recherchierten Geschichte. Wie sie im seligen Spiegel Reporter hätten stehen können, wäre er nicht längst eingestellt. Und wie sie in Vanity Fair stünden, gäbe es ein solches Format in Deutschland. Ein kurioses Phänomen: Luxus, Leidenschaft und Sinnlichkeit brechen sich aus eigener Kraft wieder Bahn, nachdem sie andernorts dem Rotstift zum Opfer fielen.

„Dummy“ ist Publizistensprech für die testweise Nullnummer einer Zeitung, und Dummy ist Themenheft und „Crash Test Dummy“ zugleich. Ohne aufwändige Analysen im Vorfeld, ob denn der Leser dergleichen überhaupt braucht. Thema und lose inhaltliche Klammer der auf 150 Seiten verteilten Geschichten ist „Nummer eins“, das erste Mal.

Darunter subsumiert die Herausgeber-Crew (Heike Blümner, Jochen Förster, Oliver Gehrs) denkbar Unterschiedliches: den „Stefan Aust Komplex“, ein bissiges Porträt des Spiegel-Chefs, geschrieben von einem ehemaligen Spiegel-Redakteur; eine opulente Bildreportage über die neuen Wohn-Oasen, die vor Dubai aus dem Meer wachsen; einen Besuch in Essen, auf den Spuren der Unsichtbarkeit der Aldi-Brüder; einen Essay von „Attac Deutschland“-Gründer Sven Giegold über das Betriebsgeheimnis der Ersten Welt.

Besonders stolz ist Co-Herausgeber und Autor Oliver Gehrs darauf, „dass wir nicht in die Berlin-Falle getappt sind“. Eine Lehre, die er aus seiner Zeit bei den Berliner Seiten der Süddeutschen Zeitung gezogen haben mag: Was die schreibende Boheme aus Mitte oder Prenzlauer Berg am Nabel juckt, das kratzt im Rest der Republik immer weniger Menschen. Vielmehr lenkt Dummy den Blick auf die Proll- und Mackerkultur eines anderen Stadtteils – und zeigt Türkengangs mit Goldkettchen, als wär’s eine Anzeigenserie für Calvin Klein.

Zwar gibt es sie auch hier, die unvermeidlichen Modestrecken. Dezenz und Geschmack aber versöhnen mit der werbenden Absicht. Überhaupt wurde auf die optische Komponente derselbe Wert gelegt wie auf Originalität und Qualität der Texte. Das Heft mit seinem an TV-Zeitschriften angelehnten Farbleitsystem trägt die liebevolle Handschrift des Grafikers Jan Rikus Hillmann, der schon bei de:bug visuelle Maßstäbe gesetzt hat. Es dauert, bis alles gelesen ist. Und es dauert noch länger, bis alles angeschaut ist. Gut so, denn geplant ist, „wenn alles glatt geht“, eine vierteljährliche Erscheinungsweise. „Jahreszeitenhefte“, sagt Gehrs dazu. Die sublime Botschaft von Dummy liegt auf der Hand: Es gibt sie noch, die langen Geschichten. Und es muss, verdammt noch mal, auch noch Leser geben, die dergleichen goutieren. Und sei es die ebenso diffuse wie gern zitierte „Bildungselite“, die nach luxurierenden Inhalten dürstet.

Vergleichsweise human ist auch der Preis von 6 Euro, zumal sich Dummy einstweilen aus geschickter Anzeigenakquise finanziert – ergänzt durch einen kleinen Griff der Herausgeber in den eigenen Geldbeutel. Und die Reportagen haben nur den (für Leser freilich unsichtbaren Haken), dass sie nicht bezahlt sind.

„Rechnen muss es sich natürlich“, sagt Gehrs, „sonst wird das die einzige Ausgabe gewesen sein.“ Selbst dann aber würde Dummy ein einmaliges Statement gewesen sein, ein Plädoyer für die Freude am Blattmachen – mit Libido, nicht mit dem Rechenschieber. So wie Luxuskarossen wie der VW Phaeton oder der Maybach in der Autobranche das Leiden an schleppenden Absätzen überstraheln – einfach dadurch, dass es sie gibt.

Dummy ist deshalb auch ein Signal an die Branche: Wenn Guerillamagazine wie brand eins, Mare oder das von Gruner + Jahr finanzierte neon der Silberstreifen am Horizont sind, dann könnte sich die Lage mit Dummy zur Morgenröte runden. Das wäre dann die gute Nachricht.