„Mit dieser Geschichtslast geht das nicht“

Lea Rosh, Vorsitzende des Denkmal-Förderkreises, hält nichts von Graffitischutz als „Referenzobjekt“ oder „Rehabilitierung“ für Degussa

taz: Frau Rosh, schon Mitte Oktober berichtete der Schweizer Tages-Anzeiger, dass die Stelen des Holocaust-Mahnmals mit dem Graffitischutz von Degussa überzogen werden. Damals wurde auch der Vorstand des Kuratoriums um eine Stellungnahme gebeten, die bis heute ausgeblieben ist. Können Sie sich das erklären?

Lea Rosh: Nein. Wenn das Kuratorium damals schon davon gehört hätte, wären wir wohl aktiv geworden.

Die Geschäftsführerin der Stiftung, Sibylle Quack, hatte damals erklärt, sie werte das Angebot der Degussa positiv. War das zu eigenmächtig?

Sie hat wohl Paul Spiegel, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, gefragt. Der hatte offenbar gegen diesen Auftrag nichts einzuwenden. Das Thema wurde dann auf die Tagesordnung der regulären Kuratoriumssitzung am 23. Oktober gesetzt. Das ist als Vorgang in Ordnung.

Degussa soll ein günstiges Angebot gemacht haben mit dem Hinweis auf seine problematische Vergangenheit.

Es heißt, sie betrachteten den Graffitischutz als „Referenzobjekt“. Es sollte wohl zur Rehabilitierung beitragen. Wir fanden hingegen, mit dieser Geschichtslast geht das nicht.

Wo ziehen Sie die Grenze?

Das haben wir uns auch gefragt. Siemens etwa hatte eigene Konzentrationslager. Mit Siemens hätten wir dennoch ein weniger großes Problem. Da gibt es wirklich eine andere Managergeneration.

Die gibt es bei Degussa auch.

Aber Degussa hat Zyklon B geliefert. Das ist emotional zu hoch belastet.

An der Degesch, die das Zykon B lieferte, war die I.G. Farben ebenfalls beteiligt. Das hieße, auch deren Nachfolger – Bayer, Aventis, BASF – dürften keine Aufträge bekommen?

Ich persönlich würde mit diesen Firmen keine Geschäfte machen. Aber das müsste natürlich diskutiert werden.

Glauben Sie, dass der Name „Degussa“ einen besonderen Klang hat? Im Gegensatz zu Bayer etwa, die den Namen „I.G. Farben“ abgelegt hat?

Ja, Degussa ist als Mutter der Degesch bekannt. Gestern tagte der Förderkreis des Mahnmals, da stand eine Frau auf und sagte: „Meine Eltern sind in Auschwitz mit Zyklon B vergast worden. Ich würde niemals auf das Gelände des Mahnmals gehen können, wenn ich wüsste, Degussa hat den Graffitischutz gemacht.“ Ich finde, da gibt es nichts mehr zu argumentieren. Das muss man einfach akzeptieren.

Es haben sich in der Kuratoriumssitzung auch einige für Degussa ausgesprochen. Was waren deren Beweggründe?

Es hieß unter anderem, dass die heutige Managergeneration nicht mehr belastet sei. Auch im Förderkreis gab es Fürsprecher der Firma. Da sagte etwa ein Theologe: Degussa streckt eine Hand zur Versöhnung aus. Man kann doch nicht das Vergeben verweigern. Ich habe geantwortet: Wer sind wir, dass wir so etwas vergeben könnten?

Wenn Degussa das Mittel umsonst geliefert hätte, als Demutsgeste statt als Geschäfts, wäre das für Sie anders gewesen?

Nein. Man kann hier nichts wieder gutmachen.

Obwohl der Zentralrat in der Person Paul Spiegels keine Einwände hätte?

Herr Spiegel hat seine Meinung geäußert. Alexander Brenner vom Präsidium des Zentralrats aber ist ganz anderer Meinung.

Wenn der Zentralrat zu dem Ergebnis käme, er hätte nichts gegen Degussa, würden Sie dann anders entscheiden?

Nein. Das Kuratorium hat diskutiert und entschieden. Es gibt zwar noch eine weitere Sitzung. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Entscheidung dann wieder in ihr Gegenteil verkehrt wird.

Was passiert mit den Stelen, die bisher beschichtet wurden?

Darüber wird ebenfalls in der Sondersitzung entschieden. Das kann nicht so schwierig werden, es handelt sich nur um wenige Exemplare.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH