Kurswechsel jetzt

Gerade für die ärmsten Länder sei das Scheitern der WTO-Runde in Cancún nachteilig, schrieb Agrarministerin Künast am 13. 10. in der taz – sie irrt, meint Germanwatch

Ein Binnenmarkt wird nicht aufgebaut, wenn ein Land sich für subventionierte Importe öffnen muss

Ob das Scheitern der WTO-Konferenz von Cancún schädlich ist, wird kontrovers diskutiert. Während Agrarministerin Renate Künast diese Ansicht vertritt, werten viele Entwicklungsorganisationen den Abbruch der Verhandlungen positiv. Sie lehnen die dort präsentierten Vorschläge als inakzeptabel ab, weil sie gegen die Interessen und Bedürfnisse der Entwicklungsländer verstießen: sowohl im Agrarbereich, beim Abbau von Industriezöllen und bei der Sonder- und Vorzugsbehandlung für Entwicklungsländer als auch bei der Aufnahme von Verhandlungen bei den so genannten Singapur-Themen (Investitionen, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen, Handelserleichterungen). Nach dem Scheitern von Cancún hatte Agrarministerin Renate Künast den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vorgeworfen, „auf dem Rücken der Ärmsten“ zu feiern. Zu deren Bestem wäre eine Vereinbarung in der WTO nämlich gewesen. Doch hier liegt Künast falsch.

Zwar werden ihre Bemühungen um eine Agrarwende in der Bundesrepublik und um ein Recht auf Nahrung in der Food and Agriculture Organisation (FAO) von NGOs prinzipiell unterstützt. Gemeinsame Ansätze bestehen ebenfalls in der Ablehnung von „Liberalisierung total“ und der Anerkennung des notwendigen Schutzes von einheimischen Agrarmärkten im Sinne einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung in Nord und Süd. Aber diese in Ansätzen richtige Politikausrichtung bleibt an vielen Stellen entwicklungspolitische Rhetorik, da sie in eklatantem Widerspruch zu der Position der deutschen Regierung bei den WTO-Verhandlungen von Cancún steht.

Im Zentrum der WTO-Agrardiskussion stehen die Liberalisierung der Agrarmärkte, die Einführung von Schutzinstrumenten und die Umgestaltung des Subventionssystems. Zwar hat Künast mit der Forderung Recht, dass die „Ernährung der eigenen Bevölkerung höchste Priorität haben muss und dies ein essenzielles Kriterium für gutes Regierungshandeln“ ist. Aber de facto nimmt die von ihr und der Europäischen Union forcierte Liberalisierung der Märkte im Süden den Entwicklungsländern genau diese Möglichkeit! Anstatt mit dem Finger auf die G-21-Länder – unter anderem Indien, Brasilien, Argentinien, China, Indonesien – zu zeigen, müssen die Bundesregierung und die EU die eigenen Marktzugangsforderungen an die Entwicklungsländer revidieren.

Ein internes EU-Papier vom 2. September 2003 entlarvt die aggressive Liberalisierungsagenda der EU in Sachen Agrarhandel. Die Sicherung der Absatzmärkte für die Agrarüberschüsse – Produkt einer fehlgeleiteten EU-Agrarpolitik – hat für Brüssel höchste Priorität. Marktzugang um jeden Preis ist die Devise, auch wenn die Kleinbauern des Südens dabei ihre Märkte verlieren, die Armut auf dem Lande verschärft wird. Das wird auch deutlich an der unzureichenden Unterstützung für spezielle Schutzinstrumente für Entwicklungsländer, die den Marktzugang der EU-Länder einschränken könnten. Eine Allianz von 32 Entwicklungsländern fordert das Recht ein, Grundnahrungsmittel völlig von der Liberalisierung auszunehmen und bei Importfluten und starkem Preisverfall einen Schutzzoll erheben zu dürfen. Letzteres steht den Industrieländern als Instrument schon seit 1995 zur Verfügung, und sie haben es intensiv genutzt.

Künast liegt auch richtig, wenn sie sagt, dass der „Aufbau eines funktionierenden Binnenmarktes wesentlich für die Entwicklung eines Landes“ ist. Aber sie übersieht dabei, dass die Subventionspraxis in der EU und das daraus resultierende Exportdumping genau jene Bemühungen systematisch unterminiert. Ein funktionierender Binnenmarkt kann nicht aufgebaut werden, wenn ein Land seine Märkte für billig subventionierte Importe öffnen muss. Denn diese unterbieten die lokalen Preise der Kleinbauern und machen deren Märkte kaputt. Genau aus diesem Grund ist die G 21 dem Ministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft und auch der EU-Kommission ein Dorn im Auge. Sie legt nämlich den Finger in die Wunde der EU: die umwelt- und entwicklungsfeindlichen Agrarsubventionen, im WTO-Fachjargon gelbe und blaue Box. Diese machen eine nachhaltige ländliche Entwicklung im Süden und im Norden unmöglich. Dies gilt nicht nur für die Schwellenländer, sondern auch für die ärmsten Länder. Deswegen fordert die G 90, die Gruppe der ärmsten Länder, ebenso eine substanzielle Reduzierung der Gelbe- und Blaue-Box-Subventionen mit dem Ziel ihrer völligen Abschaffung.

Der Abbau von Privilegien der EU in der Agrarpolitik ist nicht gleichbedeutend mit Freihandel

Inakzeptabel ist aus den gleichen Gründen das Beharren der EU auf den Exportsubventionen. Vorgesehen ist zwar eine Reduzierung jener Exportsubventionen, die für Entwicklungsländer von Interesse sind – wobei die EU sich Einschränkungen vorbehält –, aber Brüssel lehnt es hartnäckig ab, ein Datum für die komplette Abschaffung aller Exportsubventionen in dem neuen Agrarvertrag festzuschreiben. Diese Haltung wird von Entwicklungsländern und NGOs scharf verurteilt.

Künast argumentiert, dass die Forderungen der G 21, die Zahlungen für Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen (grüne Box) zu deckeln, ökologischen Rückschritt bedeuten würde. Verteidigt die EU also bei der WTO nur die Agrarwende in Europa gegen die einseitigen Interessen großer Entwicklungsländer? Nein. Denn die grüne Box enthält nicht nur Umwelt- und Tierschutzzahlungen, sondern zugleich weitere Subventionen wie beispielsweise direkte Einkommenszahlungen an Landwirte. Mit den Luxemburger EU-Agrarbeschlüssen wird eine teilweise Entkoppelung der EU-Subventionen durch die Einführung von Direktzahlungen erfolgen. Aber sie ist nicht gleichbedeutend mit einer Ökologisierung der EU-Agrarpolitik. Umweltverbände werden dies gern bestätigen. Zugleich beinhalten einige entkoppelte Direktzahlungen in der grünen Box ein hohes handelsverzerrendes Potenzial und tragen damit zum Dumping bei. Dies ist wichtig, weil die EU Subventionen aus der gelben und blauen in die grüne Box umschichten will, statt sie stärker abzubauen. Deshalb fordern auch arme Entwicklungsländer, wie die Gruppe der G 90, eine Obergrenze für die grüne Box. Es müssen unbedingt die Kriterien aller 13 EU-Programme in der grünen Box überprüft werden und die Subventionen abgebaut werden, die zu Dumping führen. Der notwendige Abbau von Ungerechtigkeiten und von Privilegien der EU in der internationalen Agrarpolitik ist nicht gleichbedeutend mit Freihandel. Wir brauchen eine Agrar- und Handelspolitik, die den Entwicklungsanliegen des Südens gerecht wird und wirkliche, nachhaltige ländliche Entwicklung bei uns nicht verhindert. Der dafür notwendige Kurswechsel muss jetzt erfolgen. Das Verhandlungsmandat der EU-Kommission, das ihnen von den EU-Mitgliedsstaaten erteilt wird, bedarf der Revision. Eine Abkehr von der aggressiven Liberalisierungsagenda ist genauso notwendig wie die grundlegende Umgestaltung des Subventionssystems. MARITA WIGGERTHALE