„Die US-Übermacht wiegt nichts“

„Bush hat auf eine Strategie der Angst und Hysterie gesetzt und damit das Spiel der Terroristen gespielt“ „Amerika wünscht, dass internationale Abkommen es als mächtigste Nation der Welt anerkennen“

Interview ROBERT MISIK

taz: Mr. Barber, Sie haben vor den Risiken eines unilateralen Abenteurertums im Irak gewarnt. Heute erweist sich Tag für Tag, wie richtig solche Warnungen waren. Haben Sie damit gerechnet, dass Ihnen die Realität so schnell und so blutig Recht geben wird?

Benjamin Barber: Meine Prämisse war, dass Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Vize Paul Wolfowitz, Vizepräsident Richard Cheney und Präsident George W. Bush eben nicht das Lager der „Realisten“ repräsentieren. Die Realisten werden in der Regel von der Realität bestätigt. Früher einmal waren die Krieger die Realisten. Aber heute kann keine Nation ihr Schicksal definieren ohne die Kooperation mit anderen, in einer Epoche der Interdependenz sind die Unilateralisten die Idealisten und die Multilateralisten die Realisten.

Die US-Okkupation holt sich eine sichtbar blutige Nase im Irak. Ändert das etwas an der Stimmung in der US-Öffentlichkeit und der politischen Klasse?

Die graduelle Veränderung ist signifikant. Wir brauchen nur die Zustimmungsraten für George W. Bush zu nehmen. Er hatte im Frühjahr 70 Prozent der Amerikaner hinter sich, heute ist der Anteil auf unter 47 Prozent gefallen, und wir können geradezu vorausberechnen, wie sie mit jedem toten US-Soldaten weiter fällt. Es hat seit dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen doppelt so viele Tote gegeben wie im Krieg selbst. Es ist sehr schwierig, zu behaupten, dass wir mit der Befreiung des Irak erfolgreich waren, wenn die Menschen, die wir befreit haben, nicht aufhören, uns umzubringen oder wegschauen, wenn andere auf uns schießen. Wir haben Opposition von den Sunniten erwartet, aber wir haben keinen Widerstand aus den Reihen der Schiiten erwartet, und ganz offensichtlich sind es mehr und mehr die Schiiten, die ins militant antiamerikanische Lager wechseln.

Wacht jetzt das liberale Lager in Amerika endlich auf?

Ich meine, man unterschätzt die Auswirkungen dessen, was ich Imperium der Angst nenne. Diese Politik der Angst hatte eine ganz ungeheuer paralysierende Wirkung, auf die US-Öffentlichkeit und auch auf die demokratischen Parteiführer. Immerhin war das amerikanische Heimatland zuletzt 1812 von den Briten in einer kriegerischen Auseinandersetzung direkt getroffen worden. Deshalb hat der 11. September etwas ganz Fundamentales in der amerikanischen Psyche verändert und hat damit die Möglichkeit geschaffen, diese Panik zu benutzen, eine Möglichkeit, die die Bush-Regierung ergriff. Die Regierung hatte doch im Grunde zwei Möglichkeiten: erstens den Amerikanern zu helfen, ihre Angst zu überwinden; zweitens auf eine Strategie der Angst und Hysterie zu setzen. Die Regierung hat sich für Letzteres entschieden und damit paradoxerweise das Spiel der Terroristen gespielt. Die Opposition war in dieser Lage von diesem Klima der Angst angesteckt und gab dem Präsidenten eine Carte blanche. Das hielt zwei Jahre vor, bestimmte zwei Kriege, die Gesetzgebung – nehmen wir nur den Patriot Act –, die öffentliche Debatte. Jetzt dämmert den Leuten, dass Amerika nicht sicherer geworden ist, dass Ussama Nin Laden ungerührt ist, Saddam untergetaucht, Bagdad voll mit Terroristen ist. Diese Kriege waren ein Rekrutierungsmittel für Terroristen. Während des vergangenen Sommers nun hat sich diese Wolke der Angst gehoben. Und in dieser Phase hat die Kandidatur von Howard Dean, jenem demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der schon früh Kritik gewagt hatte, plötzlich an Schwunggewonnen. Er hat 15 Millionen Dollar gesammelt, hat 500.000 Unterstützer im Internet mobilisiert. Er kam von außen und hat die etablierten demokratischen Insider – Gephard, Kerry, Lieberman – an den Rand gedrängt. Die Amerikaner haben genug von dieser Regierung, und sie haben auch genug von dem liberalen Establishment, das bei der Politik der Angst mitgemacht hat.

Bleiben wir kurz beim Namedropping. Dean haben Sie erwähnt, Wesley Clark hat zuletzt für Aufsehen gesorgt, manche prophezeien, dass Hillary Clinton doch noch ins Rennen steigt, vielleicht dann mit Clark als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft. Was ist Ihre Prognose?

Zunächst: Es gibt kaum einen vorstellbaren Weg, dass Hillary Clinton ins Rennen einsteigt. Sie baut erst ihre Reputation im Senat auf, sie wird von sehr vielen Leuten sehr negativ gesehen, wenngleich auch von ebenso vielen sehr positiv, aber sie polarisiert noch zu sehr. Das weiß sie, und sie weiß, dass es für sie sehr viel sinnvoller ist, bis 2008 zu warten. Wesley Clark ist eine interessante Figur und, wie Dean, einer, der von außerhalb des politischen Establisments interveniert. Überhaupt ist die US-Politik der vergangenen Jahre eine Outsiderpolitik. Clinton war ein Outsider, Bush stilisierte sich als Outsider aus Texas „gegen Washington“, Arnold Schwarzenegger triumphierte jüngst als Outsider, und die demokratischen Frontrunner heute, Dean und Clark, sind Outsider …

Anti-Establishment-Kandidaten …

Ja, weil die Protagonisten des Establishments bewiesen haben, dass sie Heuchler sind, sich um ihre Versprechen nicht scheren, Repräsentanten des Filzes sind – Enron, Halliburton etc. Wenn ein Demokrat gewinnt, dann wird das ein Outsider sein, keine Figur des Washingtoner Polit-Establishments.

Sie haben von dem Virus der Angst gesprochen. Amerika hat sich zudem in der Welt Feinde gemacht. Kann sich all das durch einen simplen Regierungswechsel eigentlich in Wohlgefallen auflösen?

Ich denke doch. Denn das, was diese Regierung macht, konterkariert alles, wofür Amerika historisch steht. Und es richtet sich auch gegen die Realitäten einer interdependenten Welt. Wir müssen uns der multilateralen Traditionen wieder besinnen, nicht aus Altruismus, sondern aus wohl verstandenem Eigeninteresse. Keine Nation, wie mächtig auch immer, kann irgendetwas erreichen, wenn sie auf sich selbst gestellt ist. Das gilt für den Kampf gegen den Terrorismus ebenso wie für den gegen Aids. Amerika wird auf diesen bewährten Pfad zurückkehren.

Aber Amerika hat sich auch unter Clinton schon von diesem Pfad wegbewegt. Die Probleme mit dem Internationalen Strafgerichtshof, mit internationalen Umweltschutzabkommen gibt es ja nicht erst seit Bushs Amtsantritt.

Ja, aber erinnern Sie sich, am Ende hat Clinton Kioto unterschrieben, am Ende hat er gesagt, wir unterschreiben das Abkommen über den Strafgerichtshof. Natürlich ist Amerika die mächtigste Nation der Welt und wünscht, dass internationale Abkommen diese singuläre Rolle anerkennen. Die Welt kann nicht regelmäßig darum bitten, dass Amerika den Weltpolizisten spielt, und dann damit drohen, die US-Soldaten vor ein internationales Tribunal zu zerren. Das heißt, Amerika hat schon das Recht, bei Verträgen auf Verhandlungen und Nachverhandlungen zu drängen, aber das hat noch nichts mit Unilateralismus zu tun. Natürlich wird auch kein demokratischer Präsident jemals sagen: „Hey, ich unterschreibe, was ihr wollt …“

Welche Bedeutung für den unilateralen Schwenk hat denn die militärische Übermacht der USA? Verleitet der Umstand, dass man eine Militärmacht zur Verfügung hat, der niemand widerstehen kann, nicht automatisch dazu, diese zu benutzen?

Das Problem ist nur, dass wir die militärische Macht an Standards des 20. Jahrhunderts messen. Natürlich gibt es keine nationale Armee, keine Air Force, keine Navy, die sich der US-Übermacht entgegenstellen kann. Das Blöde ist nur, dass unsere Feinde keine nationalen Armeen sind, sondern diese Schattenkrieger einer bösartigen Art von Nichtregierungsorganisationen, die uns mit asymmetrischen Mitteln entgegentreten. Man sieht das gerade im Irak: Für die irakische Armee haben die US-Truppen gerade ein paar Tage gebraucht, aber gegen die asymmetrischen Guerillaangriffe finden sie kein Mittel. In einer solchen Epoche, wo es nicht Nation gegen Nation heißt, sondern Nation gegen al-Qaida oder Armee gegen Einzelkämpfer, wiegt die US-Übermacht gar nichts. Langfristig kann ein Netz von Schattenkriegern die USA besiegen.

Zurück zum Unilateralismus. Sie sagten, diese Regierung konterkariert alles, wofür die USA historisch stehen. Nun gibt es tatsächlich die gute Tradition, zumindest seit dem Ersten Weltkrieg, die Welt durch Verträge zu führen, durch multilaterale Arrangements. Es gibt aber doch auch einen zweiten historischen Strang, diese Idee vom amerikanischen Exzeptionalismus, von „God owns Country“. Wie stark wiegt das denn noch?

Stark, sehr stark. Das erklärt, warum Bush nicht als totale Anomalie betrachtet wird. Die Vorstellung von Amerika als „Neues Eden“, von der „City on the Hill“, diese religiöse Überkodierung hilft Bush. Wenn er davon redet, es sei „unsere Mission“, die Welt zu befreien, dann ist das etwas, was auf Erinnerungsspuren zurückgreift, was die Amerikaner schon mobilisiert. Das hat es erschwert, die Fehler dieser Strategie herauszustreichen.