Maulkorb für Beobachter im EU-Parlament

Lettisches Parlament entzieht Abgesandten wegen Kritik an Minderheitenpolitik Mandat. Heute Debatte in Brüssel

BRÜSSEL taz ■ Das Europäische Parlament wird sich heute in seiner Plenarsitzung mit dem Fall des lettischen Abgeordneten Martijans Bekasovs befassen. Der 54-Jährige gehört zu den 162 Delegierten, die im Frühjahr aus den nationalen Parlamenten der Beitrittsländer ins Europaparlament entsandt wurden, um vor dem Beitritt im Mai als Beobachter Erfahrungen auf europäischem Parkett zu sammeln.

Vergangenen Donnerstag entzog der lettische Saeima mit der nötigen Zweidrittelmehrheit Bekasovs sein Europa-Mandat. Dem Abgeordneten der Sozialistischen Partei für Menschenrechte und ein vereintes Lettland wird vorgeworfen, „verleumderische Informationen über Lettland“ verbreitet zu haben.

Tatsächlich hatte Bekasovs die Minderheitenpolitik der regierenden konservativen Partei scharf kritisiert. Er hatte Unterschriften für eine Erklärung gesammelt und die Probleme der russischsprachigen Gemeinschaft in der Brüsseler Parlamentszeitschrift La Quinzaine geschildert. Mitte September schickte er den „lieben Kollegen“ im Europaparlament einen Brief, in dem er aufzählte, wie russischstämmige Bürger in Lettland benachteiligt werden.

Bürger ohne lettischen Pass dürften nicht an Wahlen teilnehmen. Arbeitsjahre außerhalb Lettlands würden bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt. Heute besäßen 500.000 in Lettland lebende Menschen den Status des „Nicht-Bürgers“, den das Völkerrecht gar nicht kenne. Eine schwierige Prüfung in lettischer Sprache und Geschichte sei Voraussetzung für die lettische Staatsbürgerschaft. Die Sprachkurse seien teuer und für Russen, die in Lettland nur schwer Arbeit bekämen, unerschwinglich. 1998 habe das Parlament den Unterricht in Russisch an weiterführenden Schulen abgeschafft. Nicht einmal zu Sowjetzeiten seien die Sprachgesetze so intolerant gewesen.

Die grüne EU-Abgeordnete Elisabeth Schroedter, die im Parlament für den Länderbericht Lettland verantwortlich zeichnet, sieht die Minderheitenpolitik Lettlands ähnlich kritisch wie Bekasovs. „Es ist aber ganz egal, ob er in der Sache Recht hat oder nicht. Niemand darf ihn hindern, seine Meinung frei zu äußern“, sagte Schroedter der taz.

Im Parlament ist Bekasovs der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken (GUE) zugeteilt worden. Deren Vorsitzender Francis Wuertz hat den Fall heute auf die Tagesordnung setzen lassen. Er will erreichen, dass die anderen Fraktionen mit ihm gemeinsam beim lettischen Parlament gegen die Maßregelung des Abgeordneten protestieren.

„Ich bin sicher, dass ich die Unterstützung der anderen Fraktionen bekomme. Das ist eine sensible Frage, die uns alle angeht. Niemand von uns würde es hinnehmen, einen solchen Maulkorb umgehängt zu bekommen“, machte Wuertz klar.

Bekasovs will die Entscheidung des Parlamentes vor dem lettischen Verfassungsgericht anfechten. Bis dieses Verfahren abgeschlossen ist, wird Lettland der EU angehören. Dann kann der Abgeordnete in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof sein Recht auf politische Meinungsäußerung einklagen. DANIELA WEINGÄRTNER