KIRSTEN FUCHS über KLEIDER
: Drei Ronnys wollten Lokführer werden

Arbeitskleidung: Montags trägt die Handwerkerin eine alte Latzhose, das ist klar, aber was trägt sie am Wochenende?

Handwerker haben Latzhosen an, Handwerkerinnen auch. Arbeitsbekleidung macht oft keinen kleinen feinen Unterschied. Auch Politessen müssen wie die Herren in der gleichen Hose herumlaufen – einer, auf der man Senfflecken nicht sehen würde. Nur bei einigen Berufen ist es wie bei den Jungpionieren: Mädchen Rock, Jungens Hose, beide Halstuch.

Ich habe ja mal richtig einen Beruf gelernt, sogar einen handwerklichen. Darum weiß ich, dass es nicht nur doof aussieht, wenn Frauen zu große Latzhosen tragen, sondern sich auch doof anfühlt. Es zieht überall kalt rein. Wie schlecht abgedichtete Fenster. Zu große, saubere Latzhosen sind der Berufsgruppe der Schwangeren vorbehalten. Wenn hingegen die große Latzhose, in der die kleine Frau steckt, bekleckert ist, sieht jeder sofort: Da kann eine was. Eine Nut fräsen oder einen Keilschlitz absetzen.

Meine Latzhose war beige – ich habe Tischlerin gelernt. Außerdem war die Latzhose ein Zirkuszelt, und ich war der Clown. Viele beneiden mich darum, weil Holz so gut riecht. Das ist kein guter Grund, Tischlerin beziehungsweise Schreinerin zu werden. Das wäre so, als ob jemand Frisöse werden will, weil sie auch Haare hat. Wer gerne Holz riecht, kann jedes Wochenende in der Lagerhalle von Ikea spazieren gehen. Als hätte ich drei Jahre lang an Brettern geschnuppert, um in der Prüfung dann Kiefer und Fichte mit verbundenen Augen unterscheiden zu können. Latschenkiefer, Jahrgang 1950, Südhang … Nein, so war es nicht. Ich musste eine olle Latzhose tragen und Gehörschutz und Arbeitsschutzschuhe. Alles nicht erste Wahl, wenn man sowieso schon einer flachen Miss Niederlande ähnelt – wie ich es tue. Zumindest dachte ich das in den ersten Monaten meiner Ausbildung. Doch dann fiel mir auf, dass mit der eingeschränkten Wahl auch die Qual der Wahl verschwunden war. Das Einzige, was ich morgens entscheiden musste, war: nehme ich die ganz schmutzige Latzhose oder die, wo nur durchsichtiger Leim dran ist, der auch nicht in der Kochwäsche abgeht?

Auf einmal stand ich am Wochenende ratlos vor meinen ganzen anderen Klamotten und wusste nicht, wonach mir war. Das war alles so sauber und so viel davon. Montags zog ich dann müde und mufflig mein Zelt an und war froh, meinen Kopf nicht damit belasten zu müssen, wie ich mich anpellen sollte. In der Bahn traf ich dann die anderen Handwerkerclowns mit Zollstock und Bierbüchse. Zollstöcker kommen zu einem wie Feuerzeuge.

Bierbüchsen gibt es bei Aldi, aber Arbeitsschutzschuhe gibt es im Berufsbekleidungsladen. Am ersten Tag meiner Ausbildung durfte ich dort meine neue Identität abzuholen. In dem Laden konnten die besten Faschingskostüme gekauft werden: Bäcker, Elektriker, Gebäudereiniger. All die Berufe, die Kindern einfallen, wenn sie im Kindergarten nach Zukunftswünschen verhört werden. Was willst du denn mal werden? Groß! Und Feuerwehrmann! Und wahrscheinlich fallen den Kindern diese Berufe ein, eben weil sie dann eine Erwachsenenverkleidung tragen dürfen. Zum Beispiel Lokführer. Alle drei Ronnys aus meiner Klasse wollten Lokführer werden. Der hat ’ne Mütze und ’ne Kelle. Und die beiden Martins wollten Koch werden. Der hat ’ne Mütze und ’ne Kelle. Und was hat ein Vermögensberater? Einen Kuli und ’nen Schlips. So wie hundert andere Berufsgruppen auch.

Kuliundschlipsberufe werden immer häufiger, und kein Mensch kann ihnen ansehen, womit sie den ganzen Tag dealen, die schnieken Sitzberufler, die halb zehn morgens in Deutschland ein Knoppers essen, weil das nicht so belastet. Kinder finden es spannend, wenn man den Beruf sofort erkennt. Das ganze Leben Fasching. Die größte Berufsgruppe in Deutschland erkennt man nicht. Arbeitslose sehen ganz normal aus.

Sind die Kinder, unsere süße Zukunft mit den klebrigen Händen, deshalb verwirrt? Oder sind sie fit und sagen der Kindergartenerzieherin, wenn sie groß sind, wollen sie arbeitslos werden, so wie Mama und Papa? Und für den Karneval gibt es ja Massen von Pokémonkostümen.

Fragen zu Kleidern? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSALE