Nichts für Familien

Wachstumsfreundlich ist das einfache Steuersystem des CDU-Finanzexperten Friedrich Merz. Aber Eltern und Kinder entlastet es zu wenig – für sie gibt es bessere Modelle

Der Freibetrag für Kinder ist weder mit dem Kindergeld noch mit der Sozialhilfe vereinbar

Die Idee einer „Einfachsteuer“ ist keineswegs neu – aber Friedrich Merz hat sie mit seinem „Stufentarif“ für die Einkommensteuer zur rechten Zeit wieder einmal ins Spiel gebracht. Von einer drastischen Vereinfachung der Einkommensteuer (und anderer Steuern) erhoffen sich viele nicht nur Wachstumswirkungen, sondern auch – da ja Sonderregelungen in der Steuergesetzgebung wegfallen – ein Ende des Lobbyismus und damit mehr Gerechtigkeit der Besteuerung. Wenn die Idee der Einfachsteuer auch nur halbwegs umgesetzt wird, löst eine solche Reform in der Tat einen Wachstumsimpuls aus, aber „Sonderregelungen“ werden deswegen nicht verschwinden. Im Gegenteil: Ein einfaches Steuersystem produziert geradezu die Notwendigkeit von Transferzahlungen und Subventionen an anderer Stelle. Man kann allerdings hoffen, dass das Gesamtsystem – zumindest anfänglich – transparenter sein und weniger unerwünschte Nebenwirkungen haben wird als der jetzige Steuerdschungel.

Kern des Vorschlags von Friedrich Merz ist in der Einkommensteuer die Abschaffung nahezu aller Steuerprivilegien im Tausch gegen niedrigere Steuersätze. Denn wenn man alle Einkommen voll versteuern muss, also etwa Sonntags- und Nachtzuschläge, und nicht mehr alle möglichen Kosten, etwa von Berufspendlern, Haus- oder Schiffsbesitzern, von der Steuer abgesetzt werden können, wird die Basis für die Steuerzahlung breiter, und die Steuersätze können sinken, ohne dass der Staat notwendigerweise weniger einnimmt. Die Steuerlast verteilt sich nur anders. Aber vieles spricht dafür, dass die meisten das Resultat als „gerechter“ ansehen werden. Ökonomisch am wichtigsten ist, dass durch niedrigere Steuersätze die Steuer-„vermeidung“ abnehmen wird.

Um wie viel genau zum Beispiel der Spitzensteuersatz gesenkt werden kann, das muss noch ausgerechnet werden, aber unter 40 Prozent Spitzensteuersatz sind gewiss möglich. Das mindert den Anreiz, Honorare schwarz zu verdienen – und auch international gesehen wirkt Deutschland für Qualifizierte deutlich attraktiver. Der niedrigere Spitzensteuersatz kann im Endeffekt deswegen „gerechter“ wirken, weil Spitzenverdiener zwar auf dem Papier weniger zahlen, aber aufgrund geringerer Möglichkeiten Kosten von der Steuer absetzen zu können, trotzdem mehr zahlen als jetzt.

Inwieweit auch der Anreiz zur Schwarzarbeit im unteren Qualifikations- und Einkommensbereich vermindert wird, hängt davon ab, wie der „Eingangssteuersatz“ aussieht. Merz schlägt vor, dass jenseits des Existenzminimums von 8.000 Euro jährlich bis zu einem Jahreseinkommen (eines Nichtverheirateten) von etwas über 15.000 Euro der Steuersatz lediglich 12 Prozent beträgt. Ob das Schwarzarbeit wirklich mindert, hängt aber auch davon ab, wie die Beiträge zu den Sozialversicherungen gestaltet werden. Dazu sagt Merz jedoch nichts. Sein Vorschlag wird dadurch nicht falsch, aber dieses Problem weist darauf hin, dass man die Steuer nicht isoliert sehen darf. Das ist auch gut, denn insbesondere Transferzahlungen erlauben das Erreichen von sozialpolitischen Zielen. Aber in den anderen Bereichen werden sich die Lobbyisten natürlich weiterhin tummeln.

Der Abbau von Steuerprivilegien wird – jetzt und immerzu – dazu führen, dass die viel kritisierten „Sonderinteressen“ sich darauf konzentrieren werden, dass der Staat „Ungerechtigkeiten“ mit Transferzahlungen ausgleicht. Es ist politisch naiv, zu glauben, dass mit dem Kraftakt der Durchsetzung einer „Einfachsteuer“ zugleich die Subventionsmentalität zerstört wird. Und im sozialpolitischen Bereich gibt es durch die Vereinfachung des Steuersystems jedenfalls Gestaltungsnotwendigkeiten. Die Notwendigkeit der expliziten Gestaltung ist freilich ein hoch einzuschätzender Faktor.

So ist es unklar, ob es etwa der Schiffsbaulobby gelingen wird, wenn Abschreibungsmöglichkeiten ihr verschlossen bleiben, das Parlament zur Gewährung von Subventionen zu bringen. Da und dort – man denke an die durch den Wegfall der Pendlerpauschale darbende Autoindustrie – wird das sicherlich gelingen. Aber jede einzelne neue Subvention ist erst einmal begründungsbedürftig.

Wenn durch den Wegfall der Pendlerpauschale für gering qualifizierte Berufspendler Einkommensprobleme entstehen, dann kann man dies auch als einen sozialpolitischen Handlungsbedarf ansehen. Auch hier werden der Fantasie kaum Grenzen gesetzt sein. Aber wieder wird es einen Begründungsbedarf geben. Und es wäre ja auch durchaus nicht ungerecht, wenn die Begünstigung von Berufspendeln umso geringer wäre, je kleiner das Haushaltseinkommen ist. Anderes Beispiel: Wenn studierende Kinder nicht mehr die Steuerlast der Eltern mindern würden und dadurch Gutverdienende besonders profitieren, dann ist eine Reform der Ausbildungsförderung notwendig. Dann aber besteht die Chance, dass diese so gestaltet wird, dass die Kinder aus weniger betuchten Elternhäusern eine bessere Chance als jetzt bekommen, auch studieren zu können.

Mit dem Stichwort „Kinder“ ist eines der größten verteilungspolitischen Probleme angesprochen, das im Merz’schen Vorschlag verborgen ist. Er nennt es „elegant“, wenn für Kinder ein großzügiger Freibetrag für deren Existenzminimum gewährt würde. 8.000 Euro – ebenso viel wie für Erwachsene. Das bedeutet aber, dass dem Staat die Kinder Gutverdienender mehr wert sind als die der kleinen Leute. Denn der Freibetrag vermindert das Hineinwachsen in den höchsten Steuersatz, während Personen mit geringem Einkommen, auch wenn sie keine Kinder haben, ohnehin geringer besteuert werden. Viel vernünftiger wäre, dass Merz das Steuersystem wirklich radikal vereinfacht und auch auf den Freibetrag für Kinder verzichtet, der weder mit dem System des Kindergeldes noch mit dem der Sozialhilfe systematisch vereinbar ist.

Am wichtigsten ist, dass durch niedrigere Steuersätze die Steuer„vermeidung“ zurückgehen wird

Die Bertelsmann-Stiftung macht zur Begünstigung von Kindern einen Vorschlag, der mit der Diskussion der Steuerreform verknüpft werden sollte: Alle bisherigen Regelungen fallen weg, und es gibt nur noch ein einheitliches Kindergeld von 295 Euro pro Monat. Daraus würde auch ein Beitrag zur Krankenversicherung gezahlt. Das wirkt insgesamt verteilungspolitisch befriedigender als jetzt, da alle Kinder dem Staat gleich lieb sind, aber das Kindergeld durch die höhere Steuerzahlung von Gutverdienenden stärker finanziert wird als von Personen und Familien mit geringen Einkommen.

Ein Einfachsteuersystem ist kein Wundermittel. Der von Friedrich Merz vorgelegte spezielle Vorschlag ist wachstumsfreundlich, aber insbesondere familienpolitisch bedenklich unausgewogen. Trotzdem sollte die Chance der gegenwärtigen Steuerdebatte und Reformbereitschaft genutzt werden, zumindest die politische Grundlage für ein Steuersystem zu legen, das durch seine Einfachheit dazu zwingt, dass sozial- und bildungspolitische Ziele durch maßgeschneiderte Instrumente besser erreicht werden als gegenwärtig. GERT G. WAGNER