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: Nach 68 ist vor 68

Wenn man bedeutungsvoller wirken will, als man ist, dann gibt es einen Trick, der schon bei Königen beliebt war. Man macht sich selbst zur Horde und sagt nicht „ich“, sondern „wir“. Der Fachausdruck für diese Selbstaufblähung lautet „pluralis majestatis“. Seit Neuestem gibt es eine Variante, der sich in modernisiertem Latein „pluralis generationis“ nennen ließe.

Kommentarvon ULRIKE HERRMANN

Dieses Phänomen ist nun auch bei den Sozialdemokraten zu beobachten. Jüngere SPD-Politiker haben sich an das programmatische Werk gemacht, „eigene Antworten zu finden“. Aber nicht nur für sich selbst, nein, es sollen gleich „Antworten unserer Generation“ sein, Antworten der „Nach-68er-Generation“.

Dieses semantische Musketierprinzip – einer für alle, wenige für viele – weckt natürlich große Erwartungen. Was also sagt die selbst ernannte „Nach-68er-Generation“ von knapp 40 Leuten? Es ist erstaunlich: Sie unterscheidet sich nicht wesentlich von früheren Generationen; die Nach-68er könnten unerkannt auch als Vor-68er durchgehen. Als zentrale Idee postuliert der SPD-Nachwuchs nämlich, was der Fastpensionär und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sowieso immerzu beschwört: „das Ziel der Vollbeschäftigung“. Und dafür braucht man Wachstum. Aha.

Leider fehlt das Konzept, wie sich Deutschland an diese Ziellinie heranrobben könnte. Als eines der wenigen Stichworte fällt „Bürokratieabbau“. Es mutet etwas seltsam an, diesen Vorschlag als „eigenen Beitrag“ zu postulieren. Schließlich hat Clement längst einen umfangreichen „Masterplan“ gestartet, um die Verwaltung zu entrümpeln.

Die „Nach-68er“ in der SPD scheinen eine Generation der Maulhelden zu sein. Semantisch wird das Neue gefordert – und faktisch das Bestehende bestätigt. Bloß nicht zu viel Mut zeigen.

Dieses Prinzip der revolutionären Vorsicht zeigt sich auch bei einem anderen scheinbar ambitiösen Vorschlag: Die „Nach 68er“ wollen den Sozialstaat umbauen, ihn stärker über Steuern finanzieren. Das ist sinnvoll, könnten so doch die Lohnkosten sinken. Leider bleibt die entscheidende Frage ungeklärt: Wer soll diese Steuern zahlen? Wie stark werden die unteren Schichten belastet, wie stark die Vermögenden?

Aber solche „eigenen Antworten“ wären ja viel zu konkret. Die „Nach-68er“ erfreuen sich an der wolkigen Floskel. So ist das bei Maulhelden.

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