Die neue Spaßpartei

Ästhetisch strahlen die Nach-68er in der SPD etwas FDP-mäßiges aus. Aber sie sind wild entschlossen, ihrer Partei die Schwermütigkeit auszutreiben

Der SPD geht es wie Otto mit seinen drei Problemen: Kein Job. Keine Arbeit. Keine Ahnung, wie es weitergeht

aus Berlin JENS KÖNIG

„Wo steht die SPD?“, fragt Christoph Matschie scheinheilig und gibt eine nahe liegende Antwort: „Bei 23 Prozent.“

Das ist so etwas wie die Kurzfassung der sozialdemokratischen Geschichte, von ihrem Ende her betrachtet.

Es gibt aber auch viele andere Versionen über die triste sozialdemokratische Lage. Hubertus Heil vergleicht die SPD mit Otto und zitiert dessen drei berühmte Probleme: „Kein Job. Kein Geld. Keine Ahnung, wie es weitergeht.“ Sigmar Gabriel versucht es mit der melancholischen Variante. „Die SPD ist eine schwermütige Partei geworden“, sagt er. „Sie kommt daher wie Novemberstimmung. Die Blätter fallen.“

Diese Aufzählung ließe sich schier endlos fortsetzen. Von der SPD als Wärmestube ist die Rede. Von der SPD als Kühlschrank. Von der SPD als Kamel. Selten hat man auf einer sozialdemokratischen Veranstaltung so originelle und treffende Beschreibungen des Aggregatzustands der Partei gehört wie an diesem Wochenende. Das kann man vielleicht ganz einfach damit erklären, dass hier nicht diejenigen über die SPD reden, die sonst immer über die SPD reden, die Schröders, Münteferings und Wieczorek-Zeuls, die Alten, die mittlerweile über 60-Jährigen. Freitagabend und Sonnabend vormittag hat sich in der Hauptstadt das „Netzwerk Berlin“ getroffen, ein Zusammenschluss von jungen SPD-Bundestagsabgeordneten, um über ihre Partei und deren neues Grundsatzprogramm zu diskutieren.

Die Netzwerker gelten als jung, unideologisch, pragmatisch und brav. Nachwuchspolitiker, deren Funktion man immer mit nennen muss, weil sie, bis auf Ausnahmen, keiner kennt: Matschie (42) ist Landesvorsitzender in Thüringen und Staatssekretär im Bildungsministerium; Gabriel (44) ist Fraktionschef in Niedersachsen; Heil (31) ist Bundestagsabgeordneter. Ein Verein zur Förderung begrenzter Karrierechancen.

Das könnte sich mit diesem Wochenende geändert haben. Denn selten hat man auf einer sozialdemokratischen Veranstaltung auch so viel wilde Entschlossenheit gespürt, die alte SPD, die Partei der Mühseligen und Beladenen, endlich aufzumischen. Sie nicht mehr den 68ern zu überlassen, die die Partei okkupiert haben und fast nichts anderes mehr wollen, als an der Regierung zu bleiben und sich durchzumogeln. Das Wörtchen „wild“ im Zusammenhang mit den Netzwerkern wirkt zwar immer noch irgendwie unpassend, weil sie in ihrer gesamten Ästhetik – Kleidung, Gestik, Rhethorik – etwas FDP-mäßiges ausstrahlen. Aber gedanklich sind sie ganz sozialdemokratisch – und modern. Erstmals zusammengefasst sind ihre Ideen in einem 44-seitigen Papier, das eine Art Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der SPD darstellt. „Die neue SPD“ lautet der Titel; und das Motto: „Menschen stärken, Wege öffnen“. Es ist nur eines von mehreren Papieren in der gerade aufflammenden SPD-Programmdebatte, aber eines der interessantesten. Anfang 2005 will die Partei ihr neues Programm beschließen.

Bei der Vorstellung am Freitagabend in der Friedrich-Ebert-Stiftung hielt Gabriel ein flammendes Plädoyer für den in der SPD lange unterschätzten Wert der Freiheit. Matschie forderte einen radikalen Mentalitätswandel der Partei, weg von „Risikoscheu“ und „Kulturpessimismus“. Er warb für eine „Kultur der Aufgeschlossenheit und Neugier“. Die SPD müsse eine Partei sein, die Ja sagt, die Spaß macht. „Wir brauchen wieder einen Fortschrittsoptimismus“, sagte er und nahm in dem Zusammenhang auch das sozialdemokratische Igitt-Wort „Elitenbildung“ in den Mund. Ute Vogt (39), die auf dem Parteitag nächste Woche zur stellvertretenden SPD-Vorsitzenden gewählt wird, propagierte den Abschied vom fürsorgenden, für alles verantwortlichen „Vater Staat“. Familie und Heimat – das seien die „Erfahrungsorte“ der Menschen, die gestärkt werden müssen.

Hubertus Heil hat den neuen Machtanspruch der Netzwerker mit offenem Visier vorgetragen: „Motor der Erneuerung“ der SPD wollen sie sein und dabei den Konflikt mit den „Gralshütern sozialdemokratischer Beschlüsse“, die „in einer Art pawlowschem Reflex immer gleich den Ausverkauf des sozialdemokratischen Tafelsilbers wittern“, endlich offen austragen. Hier wird deutlich, dass die Netzwerker mehr als nur Programmfragen im Sinn haben. Da wird schon um die Macht in der Nach-Schröder-SPD gekämpft.